Sich selbst besser kennenlernen
David Dao verteidigte kürzlich seine Dissertation, die er in der ETH Systems Group unter der Aufsicht der Professoren Ce Zhang und Gustavo Alonso realisiert hatte. Seine langjährige Faszination für Albert Einstein führte ihn von München an die ETH Zürich. Während seines Doktorats lernte er viel über sich selbst, darüber, was ihm am Herzen liegt und wie wertvoll es ist, unkonventionell zu denken.
Wie sieht der Beginn einer akademischen Karriere in der Informatik aus?
In drei Interviews berichten eine Doktorandin, ein frisch diplomierter Doktor der Wissenschaften und ein junger Postdoktorand aus dem Departement über ihre Motivation und ihre Erfahrungen.
– Dieser Artikel ist Teil der Reihe «Nachwuchsforschende in der Informatik» –
1/3 Xenia Hofmeier – Lernen auf die harte Tour
2/3 David Dao – Sich selbst besser kennenlernen
3/3 Chengyu Zang – Dem eigenen Herzen folgen
Du hast in Deutschland studiert und wolltest dein Doktorat an der ETH Zürich machen. Wusstest du schon früh, dass du in der Forschung tätig sein wolltest?
Das wusste ich schon, als ich fünf war. Zumindest wusste ich, dass ich Wissenschaftler werden wollte. Ich habe immer Bücher darüber gelesen, wie die Welt funktioniert. Physik und Naturwissenschaften haben mich stets fasziniert. Da ich in Deutschland aufwuchs, stiess ich bald auf Albert Einstein. Seine Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen, faszinierte mich und inspirierte mich dazu, die Orte zu besuchen, die er besucht hatte: München, wo er studiert hat, und die ETH Zürich, wo er sein Physikstudium abgeschlossen und seine erste Liebe kennengelernt hat.
Ich habe mich sehr früh dafür entschieden, Wissenschaftler zu werden, und recherchiert, was es braucht, um Professor zu werden; welche Studien ich machen musste und so weiter. Als ich mein Doktorat begann, war ich meiner Meinung nach sehr gut vorbereitet. Ich wusste, wie wichtig es ist, die richtige Studienberaterin oder den richtigen Studienberater auszuwählen und meine Zeit an der ETH bestmöglich zu nutzen.
Ist es schwierig, eine Doktorandenstelle an der ETH Zürich zu bekommen?
Ja, diese Stellen sind heiss begehrt. Mein Bachelor- und Masterstudium habe ich an guten Universitäten in Deutschland absolviert, aber das reicht nicht, um an der ETH Zürich für ein Doktorat in Informatik akzeptiert zu werden. Ich verstand, dass ich Publikationen und andere gute Schulen in meinem Lebenslauf brauchte. So habe ich meine Masterarbeit am MIT in Boston gemacht, und es ist mir gelungen, nebenbei mehrere Artikel zu publizieren. Zudem nahm ich vor meinem Doktorat eine einjährige Auszeit. Während dieser Zeit arbeitete ich im Silicon Valley in einem Unternehmen, das auf selbstfahrende Autos spezialisiert ist. Ich brauchte diese Zeit, um ein Thema zu finden, das mich begeisterte, aber es hat wohl auch meiner Bewerbung an der ETH geholfen. Während meines Bachelor- und Masterstudiums bin ich so oft wie möglich nach Zürich gekommen und besuchte Studieninformationsveranstaltungen, um sicherzustellen, dass ich gut vorbereitet war.
Wie hast du deinen Studienberater kennengelernt?
Ich kontaktierte ihn kurz bevor er seine Gruppe gründete. Seine Ernennung war gerade bekannt gegeben worden, und sein Forschungsgebiet passte genau zu dem, was mich interessierte: angewandt, aber immer noch theoretisch genug. Nach unserem ersten Gespräch wussten wir gleich, dass wir gut zusammenpassen würden. Ich war einer seiner ersten Studierenden und schätzte mich sehr glücklich, ihm helfen zu können, seine Gruppe hier aufzubauen.
Welche Erfahrungen hast du als Doktorand in einer so jungen Forschungsgruppe gemacht?
Ich habe äusserst positive Erfahrungen gemacht. Ich hatte das Glück, dass mir mein Berater grosse Freiheiten gelassen hat, um das zu tun, was ich wollte. Da ich bereits von Anfang an in der Forschungsgruppe dabei war, konnte ich einige erste, sehr wichtige Arbeiten mitgestalten, die heute für uns im Bereich des maschinellen Lernens grundlegend sind.
Da mein Berater gerade Professor geworden war, herrschte eine offene Atmosphäre, und wir konnten alle Fragen stellen, die wir stellen wollten. Wir fokussierten uns auf den Wert eines Datenpunkts: «Wenn du jemanden für einen Datenpunkt bezahlen würdest, wie würdest du dessen Wert bestimmen?» Diese scheinbar einfache Frage entwickelte sich zum Mittelpunkt meines Doktorats. Innerhalb der ersten zweieinhalb Jahre habe ich die meisten wichtigen Beiträge veröffentlicht, die Teil meiner Dissertation sind. Das gab mir die Freiheit, weiterzugehen, neue Wege zu erkunden und etwas risikoreichere Arbeiten in Angriff zu nehmen.
Neben meiner Forschung übernahm ich zudem viele weitere Aufgaben wie die Betreuung unserer internen Kommunikations- und Projektmanagementkanäle, die Evaluation potenzieller Studierender und natürlich die Lehre, die mir sehr gefiel. Die ersten beiden Jahre waren intensiv, aber ich hatte eine grossartige Zeit und arbeitete eng mit Professor Zhang zusammen, um alles aufzubauen.
Was braucht man, um ein Doktorat zu machen?
Ich würde den Leuten nie empfehlen, dies nur für den Titel zu tun. Du musst wissen, worauf du dich einlässt. Ich denke, dass es zwei Arten von Personen gibt, die ein Doktorat machen: Auf der einen Seite gibt es Studierende, die einen genauen Plan brauchen. Sie benötigen Anweisungen, was zu tun ist, und eine gewisse Überwachung. Auf der anderen Seite gibt es Studierende, die mehr Autonomie brauchen und die Freiheit, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie benötigen unterschiedliche Arten von Betreuung.
Ich bin jemand, der nicht viel Aufsicht braucht. Ich habe fast mein ganzes Leben lang recherchiert, was es bedeutet, Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler zu sein, und ich war gut vorbereitet, als ich mein Doktorat begann. Zudem erforsche ich gerne offene oder riskante Ideen und brauchte eine Vorgesetzte oder einen Vorgesetzten, die oder der mir vertraut und erlaubt, kreativ zu sein.
Ich denke, wenn man ein Doktorat beginnen will, muss man wissen, welcher Art von Mensch man ist: Wenn man mehr Planung und Betreuung braucht, schadet es der Karriere eher jemanden zu haben, der einem zu viel Freiraum lässt, aber umgekehrt ist es auch schwierig.
«Ich denke, wenn man ein Doktorat beginnen will, muss man wissen, welcher Art von Mensch man ist.»Dr David Dao, ehemaliger Doktorand in der ETH Systems Group
Wie hast du deine Projekte ausgewählt?
Aus der ersten Frage «Wie viel ist ein Datenpunkt wert?» ergab sich einiges. Danach habe ich auch an mehreren Projekten gearbeitet, die nicht unbedingt Teil meines Doktorats waren, sondern mehr mit Umwelt-KI zu tun haben. Ich habe damit begonnen, als ich nach dem Schreiben einer ersten Reihe von Arbeiten untersuchen wollte, wie wir diese Frage auf reale Probleme anwenden können: Wenn du weisst, wie viel die Daten wert sind, wie bezahlst du z. B. die Leute? Dies führte dazu, dass ich mir Umweltdatensätze ansah, wie zum Beispiel Bilder von Bäumen, die lokale Bäuerinnen oder Bauern gemacht hatten, um einen Wald zu schützen. Ich glaube, dass der Klimawandel die wichtigste Herausforderung für die Menschheit ist. Darauf wollte ich mich konzentrieren.
Wie gehst du mit den Erwartungen oder Anforderungen des Doktorats um und mit deinem Bedürfnis, auf unkonventionelle Weise zu denken und zu arbeiten?
Das Doktorat ist für mich eine wertvolle Lebensphase, in der man das Vertrauen und die Freiheit erhält, sich auf etwas zu konzentrieren, was einem besonders am Herzen liegt. Es ist eine Zeit, in der man verstehen lernt, wer man ist, und eine Zeit, in der man sich selbst findet und erkennt, was einem wichtig ist. Ich bin zum Beispiel sehr stolz auf meine Dissertation, aber ich kann mir nicht vorstellen, mich als Professor für den Rest meines Lebens mit diesem Thema zu beschäftigen. Ich würde mich freuen, interdisziplinär mit anderen zu forschen oder vor Ort die Auswirkungen meiner Arbeit auf lokale marginalisierte Gemeinschaften zu sehen.
Unsere Ausbildung soll uns nicht darauf vorbereiten, Professoren zu werden, sondern in die Welt hinauszugehen und etwas Sinnvolles in unserem Leben zu tun.
Im Nachhinein bin ich meinem Studienberater sehr dankbar, dass er so offen für meine Ideen war und mir erlaubt hat, diesen verrückten Forschungsrichtungen zu folgen. Meine ersten Forschungen in unerwartete Fachgebiete und Bereiche waren unerlässlich. Aber ich weiss, dass er eine Ausnahme ist. Nicht viele Professorinnen oder Professoren würden das zulassen, obwohl es für die Forschung sehr wertvoll ist, die Studierenden Risiken eingehen zu lassen und es ihnen zu erlauben, den traditionellen Weg zu verlassen. Du wirst reich belohnt, wenn du deine Komfortzone verlässt. Du gewinnst mehr Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten, und du lernst beispielsweise Geld aufzutreiben und Forschungsprojekte zu leiten.
Am Ende ist es wahrscheinlich ein Kompromiss: Höre auf deinen Mentor und erfülle die akademischen Auflagen, aber sei auch bereit und mutig genug, die gewohnten Pfade zu verlassen. Wenn du keine Vorgesetzte bzw. keinen Vorgesetzten mehr hast, die bzw. der dich berät, musst du selbstständig arbeiten können.
Du kommunizierst mehr als die meisten Studierenden über deine Arbeit. Ist das besonders wichtig?
Ja, das ist es. Wie kann man sonst die nächste Generation begeistern? Ich war nie ein geborener Redner, aber mit der Zeit wurde mir klar, dass man, wenn einem seine Arbeit so am Herzen liegt wie mir, auch darüber reden muss. Die Umwelt ist mir sehr wichtig und ich möchte Alternativen zu den Karrieren bei Big-Tech-Unternehmen aufzeigen und darauf hinweisen, dass Menschen, die in der KI und der Informatik arbeiten, dort etwas bewegen können, wo dringender Handlungsbedarf besteht.
Wenn du dich nicht für deine Arbeit einsetzt, wird es niemand an deiner Stelle tun. Und wenn du nicht über Themen sprichst, die dir wichtig sind, werden andere Leute das Wort ergreifen, und vielleicht die falschen Dinge sagen.
Wie läuft das Verfassen von Arbeiten als Doktorand oder Doktorandin ab?
Arbeiten zu schreiben, ist schwierig, aber es wird mit der Zeit einfacher. Viele Studierende tun sich am Anfang schwer, vor allem wenn Englisch nicht ihre Muttersprache ist. Nach und nach lernt man dann aber eine Art versteckte Sprache: kein wirkliches Englisch, sondern «akademisches» Englisch. Nach einiger Zeit lernt man auch, dass es nicht nur um die Sprache geht, sondern darum, was zu betonen ist, wie man verständlich schreibt, wie man schöne Stilfiguren einbaut und wie man sicherstellt, dass es sich bei den Experimenten um solche handelt, die andere Forschende sehen wollen.
Du lernst, deine Arbeit gegen Gegenargumente zu verteidigen und mögliche Probleme zu erkennen.
Aber das ist noch nicht alles: Eine Arbeit, die nicht kurz nach ihrer Veröffentlichung zitiert wird, wird wahrscheinlich nie zitiert werden. Wenn du willst, dass deine Arbeit wirkungsvoll ist, musst du weitergehen, darüber sprechen, deinen Code als Open Source anbieten und Präsentationen vorbereiten, die jahrelange Arbeit auf leicht verständliche Weise zusammenfassen. Dies ist schwierig und erfordert viel Aufmerksamkeit. Niemand bringt dir dies bei.
War das Schreiben deiner Dissertation anders?
Ich habe es genossen, meine Dissertation zu schreiben. Ich musste für ein paar Monate Nebenprojekte und soziale Verpflichtungen absagen, bin aber stolz auf das Ergebnis. Ich habe mir Zeit genommen, über Arbeiten nachzudenken, an denen ich mitunter Jahre zuvor gearbeitet hatte: über die Motivation dahinter und die Folgen im Laufe der Zeit.
Die Herausforderung besteht darin, die Lektüre für die Leserinnen und Leser angenehm zu machen. Es soll keine Sammlung all deiner wissenschaftlichen Arbeiten sein. Die Dissertation soll eine Geschichte erzählen, sie soll ein Narrativ sein, das die Leserinnen und Leser durch die Schritte deiner Forschung führt. Ich glaube, wenn du deinem Herzen gefolgt bist und deine Doktorarbeit genossen hast, wirst du diesen roten Faden finden, der dich immer geleitet hat. Natürlich habe ich auch ein paar Zitate von Einstein eingebaut.
Was kommt als Nächstes für dich?
Ich nehme mir eine Auszeit und widme mich GainForest, einer Non-Profit-Organisation, die ich während meines Doktorats ins Leben gerufen habe. GainForest unterstützt derzeit weltweit 27 Organisationen beim Pflanzen von Bäumen. Die NGO nutzt Technologie, um die Menschen zu bezahlen, die sich am meisten für die Aufforstung einsetzen, und um die Datenerhebung zu unterstützen. Ich möchte in der Wissenschaft bleiben und langfristig Professor werden, aber vorerst werde ich die Zeit nutzen, um zu sehen, wie weit ich GainForest entwickeln kann.
Ich denke, es macht mich zu einem besseren Wissenschaftler, wenn ich in die Welt hinausgehe, etwas anderes mache und dann mit einer frischen Denkweise zurückkomme – mit dem Wissen, welche Probleme ich angehen soll. Wissenschaft ist etwas Kreatives, fast wie Musizieren: Man muss inspiriert und kreativ bleiben, statt sich an einem Ort niederzulassen und alles mechanisch und routinemässig werden zu lassen.
«Ich denke, es macht mich zu einem besseren Wissenschaftler, wenn ich in die Welt hinausgehe, etwas anderes mache und dann mit einer frischen Denkweise zurückkomme – mit dem Wissen, welche Probleme ich angehen soll.»Dr David Dao, ehemaliger Doktorand in der ETH Systems Group
Hast du dir bereits Gedanken darüber gemacht, dich für eine Postdoktorandenstelle oder eine Lehrtätigkeit an der Fakultät zu bewerben?
Das habe ich. Ich habe viele Freundinnen und Freunde, mit denen ich gemeinsam studiert habe, die diesen Weg eingeschlagen haben. Ich bin mir der Opfer und der Mühen bewusst, die der Start als junge Professorin oder als junger Professor mit sich bringt, wie zum Beispiel der Schwierigkeit der Wahl, wo man berufen wird. Ich wünschte, die Wissenschaft wäre freundlicher in Bezug auf Arbeit, Leben und Familie, aber es hängt vor allem von Angebot und Nachfrage ab.
Ich habe bereits ein Postdoktoranden-Angebot und prüfe auch verschiedene Fördermöglichkeiten, die aber noch offen sind. Ich werde mich erst entscheiden, wenn ich dazu bereit bin, denn ich will nicht einfach irgendeine Stelle annehmen. Je besser ich mich selbst kennenlerne, desto mehr wird mir bewusst, wie wichtig es ist, Familie und Freundinnen bzw. Freunde unter keinen Umständen zu vernachlässigen. Das bereut man sonst eines Tages.
Mehr Informationen
- GAP-Interviewreihe und Veranstaltung
- Doktoratsstudium am Departement Informatik
- DS3Lab
- externe Seite Dr David Dao (persönliche Website)