«Wir wollten nicht als Querköpfe gelten, die nur Krawall machen»

Fredi Schmid war Mitbegründer und der erste Präsident des Vereins der Informatikstudierenden (VIS) an der ETH Zürich. Im Interview erinnert er sich an die Gründungszeit, die Feste und das Informatikstudium der 1980er-Jahre.

Dieses Interview wurde ursprünglich im Visionen publiziert, dem Magazin des Vereins der Informatikstudierenden an der ETH Zürich (VIS).

Fredi Schmid, was hat dich und deine Mitstudierenden 1984 zur Gründung des VIS inspiriert?
Wir merkten, dass andere Departemente über eigene Fachvereine verfügen. Da kam uns die Idee, auch für die Informatik einen zu gründen. Ohne genau zu wissen, was ein Fachverein macht und was er bringt, haben wir den VIS auf die Beine gestellt. Zum Glück hatten wir jemanden dabei, der vor Informatik Jura studiert hatte und uns bei den Statuten half.

Wie reagierte die damalige Informatikabteilung IIIC, die Vorstufe des heutigen D-INFK, auf den VIS?
Es war eine tolle Zusammenarbeit. Insbesondere Professor Zehnder, der ja auch auf der gesellschaftlich-politischen Ebene sehr viel für die Informatik getan hat, fand es gut, dass wir endlich eine Studierendenvertretung hatten, und unterstützte uns explizit. Der VIS-Vorstand wurde von da an auch häufig eingeladen, in verschiedenen Departementsgremien Einsitz zu nehmen. Obwohl wir meistens eher als Zuhörer dabei waren, war es trotzdem interessant, Notenkonferenzen oder Diskussionen über das noch im Aufbau begriffene Fachstudium mitzuverfolgen.

Was waren eure Ziele in den ersten Jahren?
Wir wollten ein Heft herausgeben, und zwar ein besseres als die anderen Fachvereine. Wir hatten das Glück, dass die Informatik damals in der Industrie ganz neu und begehrt war. Somit war es ein Leichtes, Firmen für Inserate zu gewinnen. Wir hatten schnell genug Geld beisammen, um 2000 Exemplare «Visionen» zu drucken. Davon gingen 500 an die Industrie. So hatten wir schon mal ein internes und externes Kommunikationsmedium. Dann haben wir das berühmte VISKAS-Fest – «Very Important Session at Katzensee» – ins Leben gerufen und alte Vordiplomprüfungen mit Musterlösungen zur Verfügung gestellt.

Kam das gut an bei den Studierenden?
Ja, der VIS stiess mit seinen Aktivitäten und Massnahmen auf ein gutes Echo. Die alten Prüfungen waren sehr beliebt. Die «Visionen» sorgten für reichlich Diskussionsstoff. Und auf meine VIS-Einführungsveranstaltung für Erstsemestrige wurde ich zum Teil noch Jahre später angesprochen. Unsere Arbeit wurde also wahrgenommen und geschätzt.

Wie kann man sich das VIS-Büro anno 1984 vorstellen?
Das Departement hat uns an der Clausiusstrasse, dem damaligen Zuhause der Informatik, eine Dachkammer zur Verfügung gestellt. Ausgerüstet waren wir mit einer Kugelkopfschreibmaschine von IBM, einem Luxusmodell mit Korrekturtaste und 100 Zeichen Speicher. Und wir hatten einen Olivetti-Computer von der Olivetti geschenkt bekommen. Gratiskaffee für die Studierenden gab es damals noch nicht, wenn ich mich richtig erinnere.

Vergrösserte Ansicht: Einladung zur Gründungsversammlung des VIS
Eine Einladung zur Gründungsversammlung des VIS am 26. April 1984.

Wie habt ihr euch in der Zeit vor E-Mails und Slack organisiert?
Wir hatten wöchentliche Sitzungen und trafen einander auch mal in Vorlesungen. Und natürlich haben wir telefoniert – selbstverständlich noch übers Festnetz.

Wie waren die VIS-Partys in den Achtzigern?
Das erste VISKAS war schön. Wir haben mit 150 Leuten am Katzensee grilliert. Es hat Spass gemacht, so einen grossen Anlass für unsere Kommilitonen zu organisieren. Dann gab es noch das jährliche Fondueessen in kleinerem Kreis. Ansonsten erinnere ich mich nicht an viele Partys. Ausser vielleicht an das eine Vorstandsfest.

Was ist an diesem Vorstandsfest passiert?
Eine der obligatorischen Vorlesungen, die wir damals hatten, war wirklich schlecht. Deshalb äusserte ich mich im «Visionen» kritisch über die Qualität der Kernvorlesungen. Das sorgte für einen ziemlichen Aufruhr und ich wurde von mehreren Professoren herbeizitiert. Das Heft wurde ja auch an Leute in der Industrie verschickt und manche empfanden meinen Beitrag darum als Nestbeschmutzung. Kurz darauf fand das Vorstandsfest statt. Es ging etwas länger und wir kamen so richtig in Stimmung: Jetzt musste da etwas passieren! Also schrieben wir fürs nächste «Visionen» einen ziemlich deftigen Artikel über diese spezifische Vorlesung, auf den ich zum Teil noch 20 Jahre später angesprochen wurde. Wir wollten aber nicht als Querköpfe gelten, die nur Krawall machen. Deshalb haben wir daraufhin die Vorlesungsbewertungen initiiert, und die ergaben bei dieser Vorlesung ein sehr klares Bild. Der Professor war danach nicht mehr lange an der ETH, wobei das sicher nicht nur an uns lag.

Welche Erlebnisse aus der VIS-Zeit sind dir sonst noch in Erinnerung geblieben?
1987 haben wir die Konferenz der Informatikfachschaften (KIF) in Zürich organisiert. Das ist ein halbjährliches Treffen, an dem Informatikstudierende aus dem deutschsprachigen Raum zusammenkommen. Die Informatik war so begehrt in der Industrie, dass ich einen Generaldirektor von der Credit Suisse angerufen und sofort das Geld dafür bekommen habe. Wir durften also rund 700 Studis eine Woche lang unterbringen, verköstigen und unterhalten. Wir flogen Leute für Podiumsdiskussionen ein und organisierten eine Stadtrundfahrt mit dem Tram für 700 Leute. Es hat Spass gemacht, einmal mit der grossen Kelle anzurichten.

Vergrösserte Ansicht: Scanned invitation to KIF
Eine Einladung zur KIF (Konferenz der Informatikfachschaften) 1987 in Zürich, die 1986 im Fridolin veröffentlicht wurde, dem Magazin der Informatikfachschaft an der TU Wien.

Hat sich dein Studium durch die VIS-Aktivitäten verlängert?
Nein, das ging alles in der normalen Studienzeit. Ich legte ein Zwischenjahr ein, verlängerte mein Industriepraktikum auf acht Monate und hatte noch etwas Zeit und Geld zum Reisen. Mit dem VIS hatte das allerdings nichts zu tun.

Was hat dir dein Engagement beim VIS fürs spätere (Berufs-)Leben gebracht?
Etwas zu organisieren und zu bewegen war eine sehr wertvolle Erfahrung. Heute bin ich zwar nicht in einem Vereinsvorstand aktiv, aber natürlich habe ich einiges aus dem VIS mitgenommen. Es freut mich, dass wir damals viele Aktivitäten in die Wege leiten konnten, die heute noch Bestand haben.

Und wie hast du vom Informatikstudium an der ETH Zürich profitiert?
Zu Beginn meiner Karriere war ich sehr technisch tätig. In meinem ersten Job schrieb ich einen Übersetzer von Modula-2 auf C – also eigentlich einen Compiler, der C als Hochassembler «missbrauchte». Es war ein Privileg, von Koryphäen wie Niklaus Wirth, dem Erfinder von Modula-2, zu lernen. Da ich schon immer eher ein Generalist war, schätzte ich aber auch die sogenannten Umweltfächer. Das waren ungeprüfte obligatorische Fächer ausserhalb der Informatik: Wirtschaft, Recht, Soziologie, Arbeitspsychologie etc. Davon habe ich auch im Berufsleben profitiert, denn später wechselte ich bewusst zu koordinativen und zu Führungsfunktionen und kümmerte mich z. B. um einen Teil des IT-Outsourcings bei Swiss Re. Heute bin ich im Einkauf tätig und habe mit der technischen Seite kaum noch zu tun.

«Das Moore’sche Gesetz damals schon bekannt. Aber die Vorstellung von 4,2 Gigabyte Speicher schien absurd, wenn man sich 64 Kilobyte gewöhnt war.»Fredi Schmid

Du hast dein Informatikstudium an der ETH Zürich 1982 angefangen, als der Studiengang noch ganz neu war. Was hat dich dazu bewegt?
In der Schule mochte ich Mathematik. Als wir verschiedene Zahlensysteme lernten, war das für mich ein Erlebnis. Zum Studieren war mir Mathematik allein allerdings zu trocken. Und ich wusste damals auch nicht, was ein Mathematiker nach dem Studium macht. Ich wollte etwas Praktisches. Der klassische Elektroingenieurstudiengang schien mir aber überladen. Ein Freund von mir hatte gerade das neue Informatikstudium an der ETH angefangen. Ich besuchte ihn einen Tag lang in Zürich und wusste danach, dass das auch für mich etwas wäre.  

Auf welchem Computer hast du programmieren gelernt?
Wir hatten einen sehr guten Mathematiklehrer an der Kantonsschule Solothurn, der sich auch mit Computern auskannte. Er hatte einen kleinen Rechner mit einem Display aus übereinandergelegten Glühdrähten. Eingaben machte man im Oktalsystem: Für jeden Buchstaben mussten vier Hebel umgelegt werden. Mit Kommentaren war man in solchen Programmen sehr sparsam! An der ETH Zürich lernten wir dann Pascal auf Apple-II-Computern. Die hatten einen Bildschirm von 24 auf 80 Zeichen, mit grün leuchtenden Buchstaben und 64 Kilobyte Hauptspeicher. Einen Array von 1 bis 100’000 konnte man also nicht programmieren.

Hat dich die rasante Entwicklung der Informatik seit deiner Studienzeit überrascht?
Was die Entwicklung der Rechenleistung angeht, so war das Moore’sche Gesetz damals schon bekannt. Aber exponentielles Wachstum ist für die meisten von uns schwer zu fassen, das hat auch die Pandemie wieder gezeigt. Wir wussten theoretisch, dass 32 Bit zum Adressieren irgendwann nicht mehr ausreichen, aber die Vorstellung von 4,2 Gigabyte Speicher schien absurd, wenn man sich 64 Kilobyte gewöhnt war. Die weltweite Vernetzung sah meines Wissens niemand voraus. Wer hätte sich in den 1980ern schon vorstellen können, dass eine indische Firma einmal IT für eine Schweizer Firma macht und die Zusammenarbeit dank dem Internet so einfach funktioniert?

Wie wird sich die Informatik deiner Meinung nach weiterentwickeln?
Das kann ich nicht abschätzen. Es ist denkbar, dass Durchbrüche in ganz anderen Technologien, zum Beispiel in der Gentechnik, auf unvorhergesehene Art mit Durchbrüchen in der Informatik kombiniert werden. Da entstehen neue Welten, die wir uns heute nicht vorstellen können.

40 Jahre D-INFK

1981 wurde der Studiengang Informatik an der ETH Zürich eingeführt. Gleichzeitig wurde die Abteilung IIIC gegründet, der Grundstein für das heutige Departement Informatik. Im Rahmen des 40-jährigen Jubiläums stellen wir Menschen und Geschichten vor, die das Departement während der letzten vier Jahrzehnte geprägt haben.

Jubiläumswebsite

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