Computer Graphics Lab: 30 Jahre an der Spitze von Forschung und Innovation
In diesem Jahr feiert das 1994 gegründete und bis heute von Professor Markus Gross geleitete Computer Graphics Lab (CGL) der ETH Zürich sein 30-jähriges Bestehen. Das CGL begang diesen Meilenstein letzte Woche mit einem Symposium, an dem zahlreiche Gäste und ehemalige Mitglieder des Labors teilnahmen. Es war eine Gelegenheit, über das Erbe des CGL nachzudenken, aktuelle Brennpunktthemen zu diskutieren und einen Blick in die Zukunft zu werfen.
In den letzten drei Jahrzehnten hat das CGL Spitzenforschung in der Computergrafik geleistet. Damit hat das Labor das Fachgebiet massgeblich geprägt und es zu der wissenschaftlichen Disziplin gemacht, die es heute ist.
Als Markus Gross 1994 an die ETH Zürich kam, wurde das Gebiet der Computergrafik in der Informatikgemeinde seinen Worten nach weitgehend als «Stiefkind» betrachtet. Es dauerte einige Zeit, bis sich das Gebiet als legitime Disziplin mit der notwendigen wissenschaftlichen Rigorosität und einem selektiven, von Expertinnen und Experten begutachteten Publikationsprozess durch Konferenzen wie ACM SIGGRAPH und Zeitschriften wie ACM Transactions on Graphics etablierte.
Die Erlangung dieses Ansehens war unter anderem das Ergebnis der Pionierarbeit der CGL-Forschenden, die einen nachhaltigen Einfluss auf die akademische Forschung hatte und zur Entstehung völlig neuer Geschäftsfelder beitrug. Aber das Labor hat sich nicht nur in der Forschung hervorgetan. Es war auch der Nährboden für die Gründung von vierzehn Start-ups, von denen elf offizielle ETH-Spin-offs sind, und eine ergiebige Talentschmiede, in der 72 Doktorierende und Hunderte von Bachelor- und Masterstudierenden ihre Ausbildung abschlossen. Viele der CGL-Absolventinnen und -Absolventen schlugen sehr erfolgreiche Karrieren in der Wissenschaft, der Industrie oder als Unternehmerinnen und Unternehmer ein. Ihre Verbundenheit zum Labor und zu Markus Gross hält bis heute, wie ihren Glückwünschen zum 30-jährigen Jubiläum des CGL zu entnehmen ist.
«Die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe»
Alles begann 1994, als Markus Gross das Risiko einging, verlockende Angebote für Festanstellungen mit Leitungsfunktion aus Deutschland zugunsten einer befristeten Juniorprofessur an der ETH abzulehnen. «Als junger Vater von zwei Kindern und Alleinverdiener zögerte ich zunächst, aber die ETH überzeugte mich schliesslich. Es war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe», sagt Gross.
Das Departement Informatik war damals noch sehr jung und viel kleiner als heute. Das Fach Computergrafik erfreute sich bei den Studierenden grosser Beliebtheit und die Aufnahme in den Lehrplan wurde als notwendiger Schritt in der Strategie des Departements gesehen. Die Einstellung von Gross und sein Auftrag, eine Gruppe von Grund auf aufzubauen, waren die ersten Schritte des CGL. Gross brachte einige seiner Mitarbeitenden vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung und von der Technischen Universität Darmstadt mit, wo er als Postdoc und Gruppenleiter tätig gewesen war, bevor er an die ETH kam. Zudem stellte er ETH-Studierende ein, die das Schweizer Hochschulsystem kannten. In den ersten Jahren musste das CGL viel Zeit und Geld in die Entwicklung von Lehrveranstaltungen für Studierende investieren. «Es war eine Zeit, in der PCs noch keine 3D-Grafik-Fähigkeiten hatten, also mussten wir diese sehr teuren Grafik-Workstations von Silicon Graphics, dem damals führenden Hersteller, kaufen», erinnert sich Gross. «Ohne die grosszügigen Mittel, die uns die ETH zur Verfügung stellte, wäre es uns nicht möglich gewesen, ein solches Grafiklabor für Vorlesungen und Übungen aufzubauen.»
«Ohne die grosszügigen Mittel, die uns die ETH zur Verfügung stellte, wäre es uns nicht möglich gewesen, ein solches Grafiklabor für Vorlesungen und Übungen aufzubauen.»Professor Markus Gross
Diese Bemühungen zum Aufbau des Lehrangebots verlangsamten die Forschungstätigkeit der Gruppe zunächst etwas. Aber sie sollten sich schliesslich auszahlen. Zwei Jahre später wurde die erste wissenschaftliche Arbeit des Labors an der SIGGRAPH, der bedeutendsten wissenschaftlichen Konferenz im Bereich der Computergrafik, akzeptiert. Das war ein Schlüsselmoment: «Danach erzielten wir eine SIGGRAPH-Veröffentlichung nach der anderen. Unser Ansehen stieg rapide an», sagt Gross.
Fokus auf Menschen und Blick in die Zukunft
Laut Gross liegt eines seiner Erfolgsgeheimnisse darin, dass er stets versucht, mit den bestmöglichen Talenten zusammenzuarbeiten. Er ist dankbar für die hervorragenden Beziehungen, die er zu seinen ehemaligen Mitarbeitenden pflegt, von denen er viele immer noch gelegentlich zum Mittagessen oder auf einen Drink trifft. Er schätzt auch die Unterstützung durch seine Mentoren, nämlich seinen Doktorvater José Luis Encarnaçao und Ed Catmull, den Mitbegründer der Pixar Animation Studios. «Catmull sagte einmal zu mir: ‹Wenn du etwas wirklich Bemerkenswertes erreichen willst, darfst du nicht davor zurückschrecken, dich mit Leuten zu umgeben, die klüger sind als du selbst.› Ich nahm seinen Rat ernst und gebe ihn, wann immer ich kann, an junge Professorinnen und Professoren weiter», so Gross.
Was die Zukunft des CGL betrifft, ist Gross optimistisch: «Wir haben Professorin Barbara Solenthaler, die uns eine grosse Hilfe ist. Sie übernimmt nach und nach die Leitung der Forschungsprojekte, die ausserhalb von DisneyResearch|Studios liegen. Ich denke, mit ihr und dem Rest des Teams ist das CGL gut aufgestellt für eine glänzende Zukunft.»
FORSCHUNGS-HIGHLIGHTS IN 30 JAHREN CGL
Die Highlights der Forschung aus 30 Jahren CGL lassen sich in die folgenden fünf Bereiche einteilen:
Punktbasierte Grafiken (PBG): In den frühen 2000er-Jahren begann das CGL ein zehnjähriges Forschungsprojekt, um die Verwendung von dreidimensionalen Punkten als grundlegende Bausteine für Computergrafiken zu erforschen. Die Idee war, dass ein Punkt viel einfacher ist als ein Dreieck, das traditionell die geometrische Form der Wahl für die Modellierung komplexer 3D-Objekte ist. In manchen Kontexten erweist sich die Verwendung von Dreiecken jedoch als sehr ineffizient, da sie viel Speicherplatz und Rechenressourcen erfordert. Die Gruppe musste mehrere schwierige technische Herausforderungen – sowohl auf der Software- als auch auf der Hardwareseite – bewältigen, konnte aber schliesslich beweisen, dass Punkte eine brauchbare Alternative sind. Diese Arbeit führte zur Entwicklung des ersten und einzigen Punktchips, einer punktbasierten Grafikarchitektur, die die Unterhaltungs- und Verbraucherelektronikindustrie übernahm. Gross und seine Mitarbeitenden entwickelten zudem eine Software namens Pointshop3D, die damals eine sehr beliebte Erweiterung von Photoshop für 3D-Bilder war. Die Arbeit an den PBG fand ihren Höhepunkt in einem Buch mit dem Titel Point-Based Graphics, das Gross zusammen mit dem Harvard-Professor Hanspeter Pfister herausgab. Heute sind Dreiecke zwar nach wie vor das beliebteste Computergrafik-Element, aber Gross sagt voraus, dass punktbasierte Grafiken aufgrund ihrer Einfachheit und Effizienz früher oder später eine Renaissance erleben werden.
Der digitale Mensch: Markus Gross’ Forschung zu digitalen menschlichen Gesichtern begann lange vor seinem Wechsel an die ETH. In den Anfangsjahren von CGL arbeitete die Gruppe dann an Projekten zur Simulation in der Gesichtschirurgie. Eines dieser Projekte fand in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich statt. Es markierte den Beginn der Bemühungen des Labors, hochwertige digitale Gesichtsmodelle von Menschen zu erstellen, die kontrollierbar, animierbar und physikalisch korrekt sind. Es dauerte nicht lange, bis die Walt Disney Company darauf aufmerksam wurde. Im Jahr 2008 wurden dann die DisneyResearch|Studios in Zürich gegründet und Markus Gross zum Direktor berufen. Später wurde er zum Chief Scientist der Walt Disney Studios ernannt. Die Arbeiten des Labors führten schliesslich zur Entwicklung einer Reihe von Technologien, mit denen die Gesichtsbewegungen einer menschlichen Schauspielerin oder eines menschlichen Schauspielers digital nachgebildet werden können. Diese Technologie mit dem Namen Medusa Anima wurde inzwischen in mindestens fünfzig Hollywood-Filmen eingesetzt. Im Jahr 2019 wurden ihre Schöpfer mit einem Sci-Tech-Oscar ausgezeichnet. In jüngerer Zeit wurden diese verfeinerten Technologien zur Gesichtsmodellierung ausserdem für medizinische Anwendungen umgewidmet. Ein Projekt des CGL befasst sich beispielsweise mit Spaltoperationen für kleine Kinder. Finanziert wird es von der Fondation Botnar, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Basel, die die Technologie in Ländern mit geringem Einkommen verfügbar macht. Dabei wird eine kleine Platte modelliert, in 3D gedruckt. Diese Platte wird dann in den Mund von Kindern mit Gaumenspalten implantiert. Die Behandlung der Spalte wird durch diesen Eingriff vereinfacht und die Schmerzen beim Essen und Trinken werden reduziert. Dank dieser Prothese müssen die betroffenen Kinder nur einmal statt dreimal operiert werden.
Physikalisch basierte Modellierung: Die Arbeit an fortgeschrittenen Techniken für die Simulation von Objekten und Phänomenen, die den Gesetzen der Physik gehorchen, begann am CGL schon früh. Diese Techniken waren ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Digital-Humans-Technologie, insbesondere für Anwendungen in der Chirurgie. Es überrascht nicht, dass Visual-Effects-Künstlerinnen und -Künstler zu den ersten gehörten, die sie einsetzten. Das CGL stellte ihre Simulationsmethoden als Open Source frei zur Verfügung, was dazu beitrug, dass sie schneller zum Einsatz kamen. Der Schlüssel zum Erfolg dieser Methoden liegt darin, ein Gleichgewicht zwischen der Einhaltung der physikalischen Gesetze und ausreichendem Spielraum für kreativen künstlerischen Ausdruck zu finden. Offensichtlich gelang es Gross und seinen CGL-Kolleginnen und -Kollegen, diesen schmalen Grat zu beschreiten, denn diese Technologie brachte ihnen 2013 den ersten Sci-Tech-Oscar ein. Der gleiche Forschungszweig trug auch Früchte in Form einer Physik-Engine, mit der Echtzeitsimulationen für Computerspiele erstellt werden. Gross und einige seiner Studierenden gründeten ein Spin-off-Unternehmen namens NovodeX, um die Technologie zu vermarkten. Im Jahr 2004 wurde NovodeX von Ageia, einem Halbleiterunternehmen ohne eigene Fertigung, übernommen, das die Technologie zum Bau von Physikverarbeitungseinheiten (PPU) verwendete. Ageia wiederum wurde 2008 von NVIDIA aufgekauft. Die Physik-Engine-Technologie und die CGL-Alumni, die sie entwickelten, bildeten den Grundstein für das NVIDIA-Forschungsteam in Zürich, das heute noch aktiv ist.
Telepräsenz: Eines der bahnbrechenden Projekte, auf das Gross besonders stolz ist, war ein Virtual-Reality-System namens blue-c, das einem Holodeck ähnelte. Zwei oder mehr Personen konnten sich mithilfe der Technologie in virtuellen Räumen treffen. Es war ein 3-Millionen-Franken-Projekt, das seiner Zeit voraus war. Die CGL-Arbeiten zum Thema werden immer noch zitiert, da die Telepräsenz wieder stark im Kommen ist.
Dybuster: Dieses Tätigkeitsfeld entstand als persönliches Projekt von Gross. Darin kombinierte er sein Wissen über Computergrafik, Multimodalität, maschinelles Lernen und Informationstheorie, um ein computergestütztes Trainingssystem zu entwickeln, das Kindern mit Legasthenie helfen sollte. Mit der Hilfe seines Masterstudenten Christian Vögeli baute Gross eine Version des Systems, die sich in Tests mit Dritt- bis Viertklässlern als sehr effektiv erwies. Eine Firma namens Dybuster wurde gegründet, die das System mit grossem Erfolg an Schweizer Grundschulen auslieferte. Inzwischen gibt es Versionen in fünf Sprachen, und das Tool ist nicht mehr auf Legasthenie beschränkt. Es hilft auch beim Sprachtraining und sogar bei Dyskalkulie. Bis heute hat das Tool mehr als 100 000 Kindern geholfen. Gross bezeichnet es als eines der lohnendsten Projekte, an denen er jemals gearbeitet hat.