«Ich bin wohl mittlerweile zweisprachig geworden»
Valentina Boeva ist seit Juni 2019 als Tenure-Track-Assistenzprofessorin für Biomedizininformatik am D-INFK. Sie spricht nicht nur Russisch, Französisch und Englisch, sondern auch die Sprachen der Informatik und Biologie. Dieses seltene Talent vermittelt sie einer zunehmenden Zahl an Studierenden.
Valentina Boeva, seit wann interessieren Sie sich für Bioinformatik und wie kamen Sie an die ETH Zürich?
Ich interessiere mich seit dem Gymnasium für die Anwendung der Mathematik und Informatik in der Biologie, die mittlerweile Bioinformatik genannt wird. Da die Bioinformatik als Forschungsgebiet in Russland zu dieser Zeit noch nicht existierte, studierte ich am Departement Mechanik und Mathematik der Staatlichen Universität Moskau Mathematik – mit der Idee, diese später in der Biologie anwenden zu können. Nach meinem Mathematikstudium begann ich mein Doktorat am neu gegründeten Departement für Bioengineering und Bioinformatik der gleichen Universität. Schliesslich ging ich als Postdoktorandin an die École Polytechnique in Paris. Dort begann ich meine Arbeit in der Krebsforschung, dem wichtigsten Schwerpunkt meiner heutigen Forschungsarbeit. Kurz nach meinem Antritt der Postdoktorandinnenstelle standen erstmals Geräte zur Sequenzierung der menschlichen DNA und der Zusammensetzung des Genoms zur Verfügung. Diese neuen Technologien faszinierten mich, und ich ging ans externe Seite Institut Curie, um mich der Analyse von Sequenzierungsdaten für Krebsgenome zu widmen. Dort entwickelten wir die ersten computergestützten Methoden zur Analyse von Varianten in Krebsgenomen, und ich begann zudem mit der Entwicklung der ersten Methode zur Analyse von Krebs-Epigenomen, ebenfalls aus Sequenzierungsdaten.
Mittlerweile war mein Interesse für Krebs-Epigenetik so stark (Wegweiser an der DNA, welche die Genexpression steuern), dass ich mein eigenes Team haben wollte, das in diese Richtung forscht. 2016 eröffnete ich mein Labor «Computational Epigenetics of Cancer» am externe Seite Institut Cochin. Der Schwerpunkt meines Instituts, an dem zahlreiche Klinikerinnen, Kliniker und Biologen arbeiteten, lag weitgehend auf der Biologie. Wir waren das einzige computergestützte Team, und ich fühlte mich manchmal ziemlich isoliert. Es war nicht einfach, Studierende mit einem starken mathematischen und informatischen Hintergrund zu rekrutieren. Ich begann, nach anderen Stellen zu suchen, und bewarb mich sofort, als ich die Ausschreibung der ETH Zürich sah. Glücklicherweise fiel die Wahl auf mich. 2019 kam ich als Assistenzprofessorin ans Departement Informatik, um meine Arbeit in der Krebsforschung fortzuführen. Wir interessieren uns in erster Linie für computergestützte Methoden, die wir entwickeln und anwenden können, um die Krebsbiologie besser zu verstehen und bessere Behandlungsverfahren für Krebskranke anbieten zu können.
Haben Sie auch Biologie studiert oder sich dieses Wissen im Laufe Ihrer Arbeit angeeignet?
Ich habe es mir im Laufe meiner Arbeit angeeignet. Es ist tatsächlich so, dass ich noch nie eine Biologievorlesung besucht habe. Ich betrachte mich selbst jedoch als Biologin und spreche die gleiche Sprache wie Fachpersonen im Bereich der Biologie und Medizin. Mein ganzes Wissen stammt aus dem Lesen von Artikeln, Gesprächen mit Biologen und Biologinnen und Besuchen von Kongressen. Bei meiner zweiten Postdoktorandinnenstelle am Institut Curie war ich an zwei Labore angegliedert: dem Bioinformatik-Labor und einem Biologie-Labor, das sich mit pädiatrischen Krebserkrankungen beschäftigte. Ich nahm jede Woche an ihren Laborbesprechungen teil, und zu Beginn erschien es mir wie eine neue Fremdsprache. All diese Gele und Bilder von Zellen: Ich konnte dem nicht folgen! Nachdem ich jedoch ein Jahr lang an den Besprechungen teilgenommen hatte, wurde mir bewusst, dass ich mittlerweile alles verstand, was gesprochen wurde. Ich bin wohl mittlerweile zweisprachig geworden.
«Ich betrachte mich selbst jedoch als Biologin und spreche die gleiche Sprache wie Fachpersonen im Bereich der Biologie und Medizin... Ich bin wohl mittlerweile zweisprachig geworden.»Valentina Boeva, Departement für Informatik
Was war für Sie zur Erlangung dieser Stelle am hilfreichsten?
Die Vorstellungsgespräche zu üben. Als mir klar wurde, dass ich nicht in Paris bleiben wollte, begann ich, mich für andere Stellen im Ausland zu bewerben, insbesondere in New York. Ich absolvierte verschiedene Vorstellungsgespräche an unterschiedlichen Universitäten, und ich glaube, ich wurde mit jedem Gespräch und jeder Präsentation meiner Forschungsarbeit besser. Auf mein Vorstellungsgespräch an der ETH war ich deshalb gut vorbereitet. Mein Forschungsplan war fertig, meine Vorträge waren gut einstudiert, und ich wusste, welche Fragen mir in einem Interview gestellt werden könnten. Wäre es mein erstes Vorstellungsgespräch gewesen, hätte ich wohl nicht so leicht ein Angebot erhalten.
Warum haben Sie sich für die ETH entschieden, als Ihnen die Stelle angeboten wurde?
Die ETH Zürich belegt in zahlreichen Rankings einen sehr guten Platz unter den europäischen Institutionen. Es waren jedoch hauptsächlich die Studierenden, die sehr leistungsstark sind, sowie die ausserordentlich gute Ausbildung im Bereich Informatik und Mathematik. Ich wollte in meinem Team Studierende mit einem Sinn für analytisches Denken haben, die sich Biologiekenntnisse aneignen können, jedoch auch einen Hintergrund in Mathematik haben und wissen, wie man programmiert. Dies war der Hauptgrund, warum ich mich für die ETH entschieden habe. Glücklicherweise handelte es sich auch um Zürich – meines Erachtens eine der besten Städte, um dort zu leben. Ich liebe die Natur und den See, in dem man im Sommer schwimmen kann. Ich mag Wintersport und Wandern. Zudem gefällt mir die Internationalität.
«Die ETH-Studierenden sind sehr leistungsstark, und die Ausbildung im Bereich Informatik und Mathematik ist hier ausserordentlich gut.»Valentina Boeva, Departement für Informatik
Erhielten Sie bei Ihrer Ankunft Unterstützung von der ETH, um sich hier einzuleben?
Ja, ich war sehr erstaunt, wie viel Unterstützung die ETH Zürich bietet. Mir wurde beim Umzug hierher geholfen, beim Erlernen der deutschen Sprache, bei der Beschaffung der gesamten Ausrüstung, die ich für die Arbeit benötigte... Auch die administrative Unterstützung ist fantastisch, und der Stab Professuren war sehr hilfreich bei der Lösung des «two-body problem». Einer der eindrucksvollsten Aspekte war die Bereitstellung einer sehr guten Tagesbetreuung für mein Kind nach seiner Geburt. So konnte ich direkt nach meiner Elternzeit Vollzeit arbeiten.
Sie kamen als Tenure-Track-Assistenzprofessorin an die ETH Zürich: Können Sie uns ein wenig mehr über das Evaluierungsverfahren erzählen?
Es gibt drei Evaluierungen. Die erste nach 18 Monaten soll sicherstellen, dass man auf dem richtigen Weg ist. Die zweite findet nach drei Jahren statt und ist deutlich intensiver. Die finale Evaluierung findet nach fünf Jahren statt. Nach jeder Evaluierung gibt das Departement ein sehr detailliertes Feedback, einschliesslich der Punkte, die gut und weniger gut gefallen haben, sowie Ratschläge für die nächste Evaluierung.
Wir haben zudem zwei Mentoren, die sehr hilfreich sind. Der erste Mentor ist ein Professor aus dem gleichen Bereich, dem ich Fragen zu schwierigen Situationen stellen kann, beispielsweise bei Problemen mit Studierenden oder wenn ich Ratschläge zu Karrierefragen benötige. Der zweite Mentor arbeitet in einem anderen Bereich und unterstützt mich dabei, meine Karriere aus dem Blickwinkel von jemandem zu sehen, der nicht aus genau dem gleichen Bereich kommt. Das ist sehr hilfreich, besonders während einer Evaluierung: Ich kann beispielsweise fragen, ob mein Forschungsantrag gut und detailliert genug ist für jemanden aus einem anderen Bereich. Mein Mentor gab mir Feedback und half mir dabei zu sehen, an welchen Stellen ich eine noch fachspezifischere Beschreibung oder im Gegenteil eine übergeordnete Betrachtung liefern sollte.
Wie läuft es bisher bei Ihnen?
Meine Evaluierungen verliefen bisher ganz gut. Einige Punkte mussten noch adressiert werden, was ich getan habe. Nun liegt der Fokus auf der Veröffentlichung unserer aktuellen Ergebnisse. Ich glaube, der Publikationsprozess ist schwierig. Wir haben jedoch viele Arbeiten, die in diesem Jahr eingereicht werden können, und wir hoffen, sie können bald veröffentlicht werden.
Sie unterrichten auch verschiedene Lehrveranstaltungen. Unterrichten Sie gerne?
Es nimmt viel Zeit in Anspruch, aber es gefällt mir sehr gut. Im Frühjahrssemester 2022 boten wir erstmals den von Grund auf neu konzipierten Kurs «Machine Learning for Genomics» an. Der Kurs wurde eigens für Informatikstudierende entwickelt, die sich nicht mit Biologie auskennen, sich jedoch dafür interessieren, wie maschinelles Lernen eingesetzt werden kann, um einen Durchbruch beim Analysieren unserer DNA herbeizuführen. Ich vermittle keine Grundlagen des maschinellen Lernens, da sie diese bereits kennen; stattdessen konzentriere ich mich auf komplexere KI-Methoden, die in der Genomik eingesetzt werden, und erkläre die biologischen Grundlagen, welche die Studierenden benötigen.
Im letzten Jahr hatten wir 40 Studierende. Heute haben wir bereits etwa 120 Anmeldungen, was zeigt, dass der Kurs immer beliebter wird! Aus dem Feedback, das wir letztes Jahr von den Studierenden erhielten, ging hervor, dass sie sich nach der Teilnahme am Kurs stärker für das Thema interessierten als vorher. Viele Studierende, die am Kurs teilgenommen hatten, bewarben sich später für Projekte unseres Teams. Es funktioniert also sehr gut.
In Frankreich standen Sie im ständigen Austausch mit Forschenden im Bereich der Biologie. Arbeiten Sie in Zürich ebenfalls häufig mit Krebsforschenden, Klinikerinnen oder Klinikern zusammen?
Ja, ich versuche hier mit verschiedenen Gruppen neue Kontakte zu knüpfen. Wir haben im Rahmen eines Beitrags des Schweizerischen Nationalfonds zum Programm Sinergia mit der externe Seite Gruppe von Isabelle Opitz am Universitätsspital Zürich (USZ) ein Projekt zum Mesotheliom sowie laufende Zusammenarbeiten mit weiteren Gruppen am USZ und an der Universität Zürich.
Sie bezeichneten sich selbst als «zweisprachig». Wie kommen Ihre Studierenden aus dem Bereich Informatik mit dem multidisziplinären Arbeiten zurecht?
Einige Studierende kommen aus dem Master-Studiengang Computational Biology and Bioinformatics. Sie sind in den Bereichen Statistik wie Biologie sehr gut ausgebildet. Ich habe auch Studierende, die einen reinen Hintergrund in Statistik, Mathematik oder Informatik haben, aber sie lernen sehr schnell. Wir haben ein breites Spektrum an Projekten in unserem Team, in dem Studierende mit unterschiedlichem Vorwissen ihren Platz finden. Durch das breite Projektspektrum erhalten neue Studierende einen umfassenden Überblick über die unterschiedlichen Fragestellungen in der Biologie.
- Um mehr über den Bewerbungsprozess und die Erlangung einer Professur zu erfahren möchten, sehen Sie sich die "externe Seite GAP-Interviews" des ehemaligen D-INFK-Postdocs (und jetzigen Tenure-Track-Assistenzprofessors an der NUS) Manuel Rigger an, mit den D-INFK-Professoren Shweta Shinde und Ana Klimovic.
- Um mehr über Tenure Track am ETH zu erfahren: here