«Die menschliche Version des Problems der Festplattendefragmentierung»
Das Departement Informatik wächst schnell, ebenso schnell nimmt auch die Zahl seiner aktuellen Standorte zu. Weil es so stark fragmentiert und über die Stadt verteilt ist, kann es für die Angehörigen des Departements schwierig sein, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu entwickeln. Professor Kenny Paterson, der neue Departementsvorsteher, spricht über die Herausforderungen, mit denen er im Rahmen dieser anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert ist, aber auch über die sich ergebenden Chancen.
Professor Paterson, glauben Sie, dass im Departement ein Zusammengehörigkeitsgefühl herrscht?
Ja, ich glaube, es herrscht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, aber es ist auch interessant, sich zu fragen, womit genau sich die Leute identifizieren. Mit der ETH als Organisation, dem Departement, ihrem Institut oder ihrer Gruppe? Ich habe das Gefühl, dass Doktorierende sich am stärksten mit ihrer Gruppe identifizieren, weil sie mit den Menschen dort die meiste Zeit verbringen. Ich glaube, dass Professorinnen und Professoren sich mit dem Departement, aber auch mit ihrer Gruppe identifizieren. Das treibt sie bei ihrer Forschungsarbeit Tag für Tag aufs Neue an. Aber es gibt auch Aktivitäten, bei denen die Professorinnen und Professoren sich untereinander treffen, um strategischer und langfristiger über das Departement nachzudenken, wie zum Beispiel bei unseren alljährlichen Retreats. Es gibt auch Veranstaltungen, bei denen verschiedene Teile des Departements zusammenkommen, wie zum Beispiel die Weihnachts-Apéros, die vom Verein der Informatik Studierenden (VIS) organisierte VIScon und die Abschlussfeiern. Zwischenmenschliche Kontakte sind sehr wichtig, damit ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine Identität, entstehen kann. Gleichzeitig tragen sie zu einem gemeinsamen Willen zur Zielerreichung bei. Wenn eine Organisation wächst, wird es leider immer schwieriger, echte persönliche Beziehungen zu allen Kolleginnen und Kollegen zu pflegen.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus dem schnellen Wachstum des Departements?
Wir sind sehr stark gewachsen. Ich gehöre selbst zu den Leuten, die im Rahmen des Wachstumsplans erst vor Kurzem dazugestossen sind. Es ist ein positives Signal, dass die ETH so viel in das Departement investiert. Das zeigt deutlich, wie wichtig die Informatik in der Schweiz und in der Welt geworden ist. Ein derartiges Wachstum ruft aber auch unweigerlich Wachstumsschmerzen hervor. Wir mussten auf die Schnelle neue Räume finden. Deshalb sind wir jetzt auf verschiedene Gebäude in der ganzen Stadt verteilt. Daraus ergeben sich Probleme bei der Integration und Kommunikation. Es ist einfach schwieriger, einzelnen Kolleginnen und Kollegen über den Weg zu laufen, wenn man sich noch nicht einmal im selben Gebäude aufhält. Wenn man als Departement an seine räumlichen Grenzen stösst, blockiert sich alles gegenseitig. Man hat keinerlei Flexibilität mehr, um Gruppen woandershin zu verlegen, wo sie besser aufgehoben wären. In der Informatik ist das ein bekanntes Problem: Wenn man grosse Mengen an Dateien auf einer Festplatte speichert und diese langsam voll wird, wird es immer schwieriger, Platz für neue Dateien zu finden oder Dateien zu verschieben. Wir haben es hier sozusagen mit einer menschlichen Version des sogenannten Festplattendefragmentierungsproblems zu tun. Wir haben die nötigen mathematischen und IT-Tools, aber um das Problem wirklich lösen zu können, braucht man Platz. Wir müssen eine mittelfristige Defragmentierungslösung finden und einige dieser Bruchstücke wieder zusammensetzen. Schliesslich könnte das Departement noch weiter wachsen. Denn wir setzen für die Zukunft stark auf das Fach Informatik. In der Schweiz gibt es aktuell einen grossen Mangel an IT-Fachkräften und wir können mit unseren Absolventinnen und Absolventen nur teilweise helfen, diese Lücke zu füllen. Genug Raum für diese Entwicklung zu haben, ist eine erhebliche Herausforderung für das Departement.
«Wir setzen für die Zukunft stark auf das Fach Informatik.»Professor Kenny Paterson
Bietet der Umzug in den Andreasturm in Zürich-Oerlikon eine Chance für die Angehörigen des Departements oder stellen sich dadurch neue Herausforderungen?
Ich glaube, das ist eine grosse Chance, weil die Räumlichkeiten toll sind. Aber sie werden uns auch noch vor die ein oder andere Herausforderung stellen. Im Frühjahr 2023 werden einige unserer Kolleginnen und Kollegen dorthin umziehen. Das ist dann unser Campus «Informatik Nord», der in etwa 20 Minuten mit dem Tram erreichbar ist. Für einige wird der Umzug dorthin einen erheblichen Umbruch und eine ziemlich grosse Veränderung darstellen. Zu meinen Aufgaben gehört es, sicherzustellen, dass ich dort Zeit verbringe und präsent bin. So können alle direkt mit mir interagieren, ohne den weiten Weg in mein Büro auf sich nehmen zu müssen. Eine weitere Herausforderung ist, dass es in dem Gebäude keine Unterrichtsräume gibt. Das Lehrpersonal muss ins Zentrum kommen und dann wieder zurückfahren, was dazu führen könnte, dass sie sich entwurzelt fühlen. Ich glaube, dass die Räumlichkeiten in Zürich-Oerlikon sehr schön werden, dass aber durch den Umzug auch ein Riss im Departement entsteht. Um diesen zu überwinden, müssen wir Brücken bauen, zum Beispiel, indem wir die Konferenzen für Professorinnen und Professoren dort abhalten. Wir praktizieren das bereits bei anderen Meetings, die gelegentlich im STF stattfinden.
Welche Ziele haben Sie als neuer Departementsvorsteher?
Als Professor an diesem Departement fühle ich mich besonders dafür verantwortlich, eine erfolgreiche Forschungsgruppe aufzubauen, die eine grossartige Forschung und Lehre hervorbringt. In meiner Funktion als Departementsvorsteher kann ich mich darauf weniger konzentrieren. Es wird schwierig sein und mir viel Disziplin abverlangen, diese verschiedenen Aspekte miteinander in Einklang zu bringen. Ich habe genau verfolgt, wie mein Vorgänger Timothy Roscoe den Job erledigt hat, und habe gesehen, in wie viele unterschiedliche Angelegenheiten er einbezogen wurde. Es steht immer etwas an, was akut wichtig ist, und wenn es brennt, dann muss man eben löschen. Aber man will auch Neues säen, das in den nächsten 20 Jahren heranreifen kann. Die akute Brandbekämpfung und die längerfristige strategische Ausrichtung sind ebenfalls Aspekte, die ich miteinander ins Gleichgewicht bringen muss.
Als neuer Vorsteher des Departements mit mehr als 600 Mitarbeitenden und mehr als 1’000 Studierenden möchte ich ein Gefühl dafür bekommen, was läuft und wie sich die Menschen fühlen. Ich habe einen direkten Draht zu den Leuten, die unseren Verband der wissenschaftlichen Mitarbeitenden (VMI) leiten. Aber das ist auch ein Filter: Ich erhalte meine Informationen in zusammengefasster, aggregierter Form, aber was denkt jede und jeder Einzelne? Sich die Zeit zu nehmen, um mit den Menschen zu sprechen, ist wichtig. Und ich hoffe, dass sie wissen, dass meine Tür immer offensteht.
Darüber hinaus ist es nicht immer einfach, persönlich eine gewisse Distanz zu den einzelnen Problemen zu wahren, weil ich mich gerne einbringe und Leuten helfe. Ich werde mich also der Gepflogenheiten der britischen Diplomatie bedienen müssen und meine persönliche Meinung zurückhalten. Es geht darum, das Departement zu vertreten, nicht, den Leuten zu sagen, was sie tun sollen. Das beinhaltet unterschiedliche Meinungen anzuhören, einen Konsens zu erarbeiten und sich darum zu bemühen, das für alle bestmögliche Ergebnis zu erhalten. Und zu guter Letzt geht es auch darum, sicherzustellen, dass das Departement in die richtige Richtung wächst.
Wo sehen Sie das Departement in fünf Jahren?
Ich glaube, das Departement wird weiter wachsen, obgleich sich die Geschwindigkeit des Wachstums wegen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verlangsamen wird. Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren eine mittelfristige Lösung gefunden haben, die es uns ermöglicht, uns auf lediglich zwei oder drei Standorte zu konzentrieren. Da die Zahl der Studierenden zunimmt, hoffe ich, dass wir zusätzliche Unterstützung für die Lehre erhalten. Insbesondere im Master-Bereich, da unsere Master-Studiengänge äusserst beliebt sind. Es ist ausserdem wichtig, diese korrekt aufzusetzen und angemessen zu unterstützen. Das ist eine interessante Herausforderung für mich und sie ist wahrscheinlich so umfangreich, dass ich in den nächsten Jahren genug damit zu tun haben werde.