«Cybersicherheit heisst auch Freiheit»

Cyber Group ETH Student Initiative ist eine Studierendenorganisation, die sich der Cybersicherheit widmet. Ihre Mitbegründerin und ehemalige Präsidentin Karin Holzhauser sowie der heutige Präsident Christian Knabenhans erklären im Interview, warum es die Cyber Group gibt und was sie noch vorhat.

Karin Holzhauser, was ist die Cyber Group ETH Student Initiative?
Karin Holzhauser (KH):
Die Cyber Group ist eine studentische Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Leidenschaft für Cybersicherheit unter den ETH-Studierenden zu fördern. Wir haben drei Leitprinzipien. Erstens werden wir ausschliesslich von Studierenden und für Studierende geführt. Zweitens ermutigen wir Studierende aus allen Departementen der ETH Zürich, sich für Cybersicherheit zu interessieren. Cybersicherheit ist nicht nur ein Informatikthema, sondern betrifft alle Bereiche unseres Lebens. Sie ist auch für Studierende der Ingenieurwissenschaften, der Pharmazie, der Politik und mehr relevant. Drittens wollen wir ein Forum schaffen, in dem sich Studierende mit Cyber-Security-Expert:innen ausserhalb der ETH vernetzen können. So können sie Selbstvertrauen aufbauen und wichtige Fähigkeiten wie Führung und Kommunikation üben, die im Lehrplan nicht immer genug Beachtung finden.

Warum haben Sie 2019 die Cyber Group gegründet?
KH:
Wir waren drei Initiatorinnen: Jelena Mihajlovic studierte für ihren Master in Comparative and International Studies (MACIS), während Lara Lazier und ich unseren Bachelor in Informatik machten. Zusammen mit Alice Brazzola von der Universität St. Gallen hatten wir an der Cyber 9/12 Strategy Challenge in Genf teilgenommen. Bei diesem Wettbewerb reagieren Teams von Studierenden auf einen fiktiven Cyberangriff auf kritische europäische Infrastrukturen und berücksichtigen dabei sowohl technische als auch politische Aspekte. Von den sechs ETH-Teams, die teilnahmen, waren wir die einzigen, die einen der fünf Sonderpreise gewannen. Uns wurde klar, dass es den ETH-Studierenden nicht an technischen Kompetenzen mangelte, sondern an der Fähigkeit, diese Kompetenzen zu präsentieren und damit eine Expertenjury zu überzeugen. Deswegen haben wir beschlossen, dafür zu sorgen, dass zukünftige ETH-Teams entsprechend vorbereitet werden.

Mit grossem Erfolg: Schon im nächsten Jahr holten die fünf ETH-Teams, welche die Cyber Group trainiert hat, die fünf Bestplätze und alle Sonderpreise. Was waren die grössten Herausforderungen am Anfang der Cyber Group?
KH:
Die grösste Herausforderung waren unsere Selbstzweifel. Von Anfang an wollten wir hochkarätige Redner:innen zu unseren Veranstaltungen einladen. Das war fordernd, zumal wir noch keinen Proof of Concept hatten, sondern eine unerprobte, wenn auch mitreissende Idee. Aber wir glaubten an unsere Vision. Unsere Überzeugung und Begeisterung halfen uns, andere dafür zu gewinnen. Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung, die wir von unseren ersten Kontakten innerhalb der ETH erhielten: der Rektorin Prof. Sarah Springman, Prof. Kenny Paterson von der Applied Cryptography Group und Dr. Myriam Dunn Cavelty vom Center for Security Studies (CSS). Sie glaubten von Anfang an an uns. Besonders ermutigend war für uns, dass Prof. Sarah Springman, unsere damalige Rektorin, sich zwischen zwei anderen Events einen Weg durch das Labyrinth der ETH-Gebäude bahnte, nur um zu unserer Eröffnungsveranstaltung zu kommen. Das zeigte uns deutlich, wie sehr es ihr am Herzen lag, dass wir Studierenden uns engagieren und erfolgreich sind.

Karin Holzhauser
«Die grösste Herausforderung waren unsere Selbstzweifel. Aber wir glaubten an unsere Vision und unser Glaube und unsere Begeisterung halfen uns, andere zu überzeugen.»Karin Holzhauser, Mitbegründerin der Cyber Group

Christian Knabenhans, Sie waren einer dieser ersten Studierenden, die sich mit Cyber Group erfolgreich auf die 9/12 Challenge vorbereiteten. Wie war das für Sie?
Christian Knabenhans (CK):
Ich gehörte zum Team PromETHeus und wir haben den ersten Platz und den Most Creative Policy Award gewonnen. Das Training war sehr intensiv. Wir lernten viel über Technologie und Politik, aber auch über Kommunikation, Teamwork und Zeitmanagement. Wir haben seitenweise Notizen gemacht. Der Wettkampf selbst war ebenso intensiv. In der letzten Phase hatten wir nur zehn Minuten Zeit, um auf ein wechselndes Szenario zu reagieren. Wir mussten zusammenarbeiten, improvisieren und dann unsere Ergebnisse vor einer hochrangigen Jury präsentieren. Es hat sehr viel Spass gemacht und ich bin froh, dass ich mitgemacht habe!

Karin, wie fühlte es sich für Sie an, die Teams zu trainieren?
KH:
Es ist schön zu sehen, wie die Gruppen während des Trainings zu Teams zusammenwachsen. Wir starten das Training mit 20 oder 30 Leuten, die sich nicht kennen und in unseren Trainingssessions sehr ruhig sind. Im Laufe der Zeit ändert sich die Energie der Gruppe komplett und die Studierenden werden viel engagierter.

Kennen sich die Teammitglieder vor dem Wettkampf also nicht? War das auch bei Team PromETHeus der Fall?
CK:
Ja, wir waren alles Fremde, drei Informatikstudierende und eine Offizierin aus der Militärakademie der ETH Zürich.

KH: Mit Fremden in einer Gruppe zu sein, entspricht der Realität, die unsere Studierenden später im Leben erwartet. Wir wollen, dass sie so viel wie möglich lernen, damit das Training selbst der grösste Erfolg ist, unabhängig vom Ausgang des Wettkampfs. Die Studierenden verlassen ihre gewohnte Umgebung, üben sich in Teamarbeit in einer stressigen Situation und trainieren mit Expert:innen aus der Schweizer Verwaltung und der Industrie. Wenn sie dafür am Ende einen Preis gewinnen, ist das toll! Aber selbst wenn nicht: Das Wissen und die Erfahrung, die sie dabei gesammelt haben, sind sehr wertvoll.

Karin, warum haben Sie Ihre Rolle als Präsidentin der Cyber Group 2021 an Christan übergeben?
KH:
Ich wollte von Anfang an, dass diese Organisation von Studierenden geführt wird. Die Cyber Group ist keine dauerhafte Verpflichtung, sondern eine Chance, sich auszuprobieren und kreativ zu sein, während man sich gleichzeitig auf sein Studium konzentriert. Deshalb haben wir eine beratende Funktion für den neuen Vorstand übernommen und auch die Schwesterorganisation ETH Cyber Group Alumni gegründet, in die alle unsere Referent:innen, Expert:innen und Absolvent:innen eingeladen sind. Sie soll ein Treffpunkt für Wissensaustausch und lebenslanges Lernen zwischen der ETH Zürich, der Wissenschaft, der Industrie und öffentlichen Institutionen sein.

Christian, was sind Ihre Aufgaben als Präsident?
CK:
Ich koordiniere die drei Hauptaktivitäten der Cyber Group. Erstens sind das die Open Ports, eine Reihe kurzer interaktiver Veranstaltungen, bei denen Referent:innen aus der Industrie, der Wissenschaft oder den öffentlichen Institutionen ihre Arbeit mit einer Gruppe von etwa 30 Studierenden besprechen. Zweitens gibt es das Meet & Greet, ein jährliches Treffen zu Ehren aller Expert:innen, die uns das ganze Jahr über unterstützt haben. Unser Ziel ist es, beim Meet & Greet gleich viele Expert:innen wie Studierende dabei zu haben, damit alle Studierenden eine Expertin oder einen Experten kennenlernen können. Die Veranstaltung beginnt mit Impulsreferaten, gefolgt von interaktiven Spielen, um die Teilnehmenden miteinander in Kontakt zu bringen. Sowohl die Open Ports als auch das Meet & Greet stehen allen Studierenden der ETH offen. Und unser dritter Pfeiler ist natürlich das Training für die 9/12 Strategy Challenge. Wir bieten den Studierenden ein intensives zweimonatiges Trainingsprogramm mit vielen Expert:innen aus der Wissenschaft, der Industrie und den öffentlichen Institutionen.

«Es ist eine Menge Arbeit, aber es gibt mir auch Energie. Die Möglichkeit, so viele Dinge zu lernen, die nicht in Vorlesungen unterrichtet werden, motiviert mich sehr.»Christian Knabenhans, Präsident der Cyber Group
Christian Knabenhans

Das klingt nach viel Arbeit. Wie bringen Sie das mir Ihrem Studium unter einen Hut?
CK:
Es ist eine Menge Arbeit, aber es gibt mir auch Energie. Die Möglichkeit, so viele Dinge zu lernen, die nicht in Vorlesungen unterrichtet werden, motiviert mich sehr.

Karin, war es auch für Sie den Aufwand wert?
KH:
Die Organisation der Veranstaltungen und das Training der Teams erfordern viel Zeit und Arbeit. Und letztendlich gewinnt man selbst ja keinen Preis dafür. Aber wenn man sieht, wie die Studierenden zusammenarbeiten und zu Teams werden, ist es das alles wert. Unsere Expert:innen bringen uns auch viel Unterstützung und Engagement entgegen, sobald sie unsere Leidenschaft und Neugierde entdecken. Es macht grosse Freude, das zu spüren. Alles in allem ist es ein lohnenswertes Unterfangen, ein Netzwerk von Cybersecurity-Expert:innen an der ETH zu schaffen – ich habe meine Energie gerne für diesen Zweck eingesetzt.

Auf welche Ihrer Errungenschaften als Präsidentin sind Sie besonders stolz?
KH:
Es ist schwierig, nur eine zu nennen. In diesen zwei Jahren haben mehr als 300 Studierende aus zahlreichen Departementen der ETH an unseren Veranstaltungen teilgenommen. Besonders stolz macht es mich, dass einige von ihnen danach sagten, wir hätten ihnen die Augen über Cybersicherheit geöffnet. Stolz bin ich auch auf das erste Meet & Greet, das wir organisiert haben. Es musste wegen der Pandemie in einen virtuellen Raum verlegt werden und sowohl unser Team als auch unsere Teilnehmenden haben es geschafft, einen interaktiven und inspirierenden Abend daraus zu machen. Und schliesslich bin ich persönlich stolz darauf, dass wir etwas aufgebaut haben, das das studentische Leben an der ETH hoffentlich noch lange prägen wird.

Was sind Ihre Ziele für die Zukunft der Cyber Group, Christian?
CK:
Wir werden unsere Events laufend weiterentwickeln, um mit den Trends und Entwicklungen im Bereich der Cybersicherheit Schritt zu halten. Und wir wollen auch neue Richtungen erkunden. Bislang haben wir uns auf die Cybersicherheit in der Schweiz, in Europa oder in den USA konzentriert. Aber auch Asien, Südamerika und Afrika stehen vor einzigartigen Cyber-Herausforderungen. Wir versuchen, in diese Richtung zu expandieren. Und natürlich wollen wir innerhalb der ETH weiter wachsen und noch mehr Departemente und Studierende einbeziehen.

Warum ist Cybersicherheit Ihnen beiden persönlich wichtig?
CK:
Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran. Fast alles, was wir tun, geschieht in der einen oder anderen Form online: Ihre Bankgeschäfte und Identitätsnachweise, Ihr soziales und berufliches Leben. Es wird immer wichtiger, dass wir sowohl die technischen Mittel als auch die politischen Massnahmen haben, um all diese Informationen zu schützen.

KH: Ich stimme von ganzem Herzen zu. Für mich bedeutet Cybersicherheit auch Freiheit. Wenn ein Unternehmen unter einem DDoS-Angriff leidet, ist seine Freiheit, mit seinen Kunden zu interagieren, eingeschränkt. Wenn Ihr persönliches Konto im Netz gehackt wird, leidet Ihre Freiheit, sich zu äussern. Und für ein Land bedeutet Cybersicherheit die Freiheit, eigene politische Entscheidungen zu treffen und ein Umfeld frei von externer Einmischung zu schaffen. Ich ermutige daher jede und jeden, Cybersicherheit als Befreiung und Befähigung zu betrachten – und nicht als Einschränkung.

Über Cyber Group

Die Cyber Group ist eine Vereinigung von ETH-Studierenden, die Studierenden aller Departemente das Thema Cybersicherheit näherbringen und ein Netzwerk zwischen Studierenden, Wissenschaft, Industrie und öffentlichem Sektor schaffen will. Ihr Hauptziel ist es, Studierende bei der Teilnahme an Krisensimulationswettbewerben im Bereich der Cybersicherheit zu unterstützen, indem sie ihnen ein entsprechendes Training, finanzielle Mittel und allgemeine Unterstützung während des Wettbewerbs zur Verfügung stellt.

Darüber hinaus organisiert die Cyber Group das ganze Jahr über verschiedene Open-Port-Veranstaltungen, bei denen renommierte Expert:innen für Cybersicherheit an die ETH kommen, um den Studierenden den aktuellen Stand ihres Fachgebiets aufzuzeigen. Die Cyber Group veranstaltet auch ein jährliches Meet & Greet, ein Networking-Event für Cyberenthusiast:innen aus allen Studiengängen und Bereichen, um Kontakte zu knüpfen und einen Abend mit Gesprächen zu geniessen.

Erfahren Sie mehr unter cybergroup.ethz.ch

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