«Die Informatik ist eine Denkschulung»
Professor Ueli Maurer war von Januar 2020 bis Dezember 2021 Studiendirektor des Departements Informatik (D-INFK). In seinem Abschiedsinterview blickt er auf eine intensive, aber dankbare Zeit zurück.
Professor Ueli Maurer, was sind die Aufgaben des Studiendirektors?
Der Studiendirektor ist sozusagen der Rektor auf Departementsstufe. Ich war für die Lehre und das Doktorat verantwortlich und führte die beiden Teams Studienadministration und Senior Scientists Focus Education.
Welcher Aufgabenbereich hat Ihnen besonders gefallen?
Die Führung der beiden Teams, die nicht nur hochprofessionell, sondern auch menschlich absolut toll sind. Auch die Zusammenarbeit mit dem Rektorat und die kollegiale Unterstützung aus der Departementsleitung schätzte ich sehr. Sehr belastend war hingegen die tägliche Flut von E-Mails, in der man manchmal fast ertrinkt. Das geht einher mit dieser komplexen Managementaufgabe.
Was hinterlassen Sie nach zwei Jahren als Studiendirektor?
Neben laufenden Projekten in der Lehre habe ich das Team der Senior Scientists Focus Education, das mein Vorgänger Peter Müller ins Leben gerufen hatte, konsolidiert und mich für ihre Karriereentwicklung eingesetzt. Ausserdem hinterlasse ich einen anderen Führungsstil. Ich habe versucht, nicht top-down zu führen, sondern stärker auf Eigenverantwortung zu setzen. Dafür war ich immer verfügbar, wenn ein Problem auftauchte oder eine Entscheidung gefällt werden musste.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Wir konnten an Katastrophen vorbeisteuern. Das ist nicht selbstverständlich, gerade während einer Pandemie. Das ist nicht allein meine Leistung: Das Team der Studienadministration ist bemerkenswert, jede und jeder bringt die volle Leistung und ergreift Eigeninitiative. Am meisten freut es mich, dass ich meine Wertschätzung ausdrücken konnte und auch selbst geschätzt wurde. Ich glaube, ich konnte dem Departement etwas zurückgeben dafür, dass ich in meiner Zeit an der ETH Zürich sehr viel bekommen habe.
Wenn Sie gewusst hätten, was auf Sie zukommt: Hätten Sie die Stelle 2020 trotzdem angetreten?
Ja, ich hätte den Job angenommen. Hätte ich gewusst, dass die Pandemie kommt, hätte ich mir wahrscheinlich mehr Sorgen gemacht als nötig. Ich bin positiv überrascht, wie gut das Departement diese Herausforderung gemeistert hat. Für die Studentinnen und Studenten war das viel einschneidender als für uns. Trotzdem war ich froh, dass mein Co-Dozent Martin Hirt meine Vorlesung im Frühjahrssemester 2020 übernahm und ich selber nicht auf Online-Unterricht umstellen musste.
Eignet sich Informatik grundsätzlich gut für den Online-Unterricht?
Wir werden in Zukunft vermehrt Online-Elemente anbieten, aber die Präsenzlehre bleibt weiterhin wichtig. Eine Präsenzvorlesung dient aus meiner Sicht der Motivation und Begeisterung der Studierenden und nicht nur dem «Durchkauen» des Stoffes – Letzteres kann man auch gut mit einem Skript oder eben einem Online-Format machen. Die Informatik ist vor allem eine Denkschulung. Denkweise und Abstraktion lassen sich online schlecht vermitteln.
«Eine Präsenzvorlesung dient der Motivation und Begeisterung der Studierenden.»Professor Ueli Maurer
Was wird sich in der Lehre am D-INFK künftig noch ändern?
Im Laufe meiner Amtszeit half ich dem Rektorat, ein sehr wichtiges Projekt aufzugleisen, das die Lehre an der ETH Zürich verändern und für unser Departement eine zentrale Rolle spielen wird. Dabei geht es um das Thema Computational Competencies. Die Informatik ist zu einer dritten Säule der Ausbildung an der ETH geworden, zu einem weiteren Grundpfeiler neben Mathematik und Physik. Wir als Departement stehen vor grossen Fragen: Welche Formate können wir den anderen Departementen anbieten? Haben wir die Ressourcen, sehr viel mehr Vorlesungsstunden zu halten?
Sie haben ab 1979 Elektrotechnik an der ETH Zürich studiert. Wie war die Lehre damals?
Ehrlich gesagt habe ich mein Studium nicht sehr positiv in Erinnerung. Oft hatte ich das Gefühl, dass wir einfach die Steckenpferde von unseren Professoren lernen mussten. Mir fehlte das Warum: Warum lernen wir das? Warum ist dieser Stoff wichtig? Erst als ich Vorlesungen bei meinem künftigen Doktorvater, Professor Jim Massey, hatte, ging mir ein Licht auf. Er unterrichtete sehr präzise, sehr klar, das war eine andere Welt. Ich muss allerdings sagen, damals war die ETH noch ein gutes Stück provinzieller und vielleicht nicht eine der Topuniversitäten der Welt, wie sie es heute ist.
Sie sind ein beliebter Dozent. Haben Sie das Unterrichten von Jim Massey gelernt?
Auch. Als ich ihn fragte, wie er das macht, sagte er: «I can only understand simple things.» Was ich lehren will, muss ich zuerst abstrahieren und in einfache Elemente zerlegen. Und man sollte ein Denkmuster vermitteln, nicht bloss Fakten. Das habe ich von ihm übernommen. Erste Erfahrungen mit Unterrichten machte ich allerdings schon viel früher. Als Mittelschüler hatte ich ein Business als Nachhilfelehrer für meine Mitschüler und Mitschülerinnen. Mein Mathematiklehrer bat mich, seiner Tochter Nachhilfe in Physik zu geben. Am Schluss schaffte sie es von einem Dreier auf einen Sechser.
Im Herbst 2020 mussten Sie doch noch online unterrichten. Wie war das für Sie?
Die Umstellung selber war relativ einfach. Man schwätzt allerdings ins Leere, denn man hat kein Feedback und sieht die Studierenden nicht. Bei grossen Lehrveranstaltungen kommen auch kaum Fragen. Präsenzunterricht ist da viel befriedigender.
Sie hatten auch einen felligen Assistenten, nicht wahr?
Ja, mein Kater Janosch ist irgendwann in den Zoom-Vorlesungen aufgetaucht. Das hat den Studierenden sehr gefallen und sie wollten ihn nach jeder Vorlesung sehen. Das war gut, denn es hat dem sterilen Online-Unterricht ein wenig Menschlichkeit zurückgegeben.
Mussten Sie Ihre Forschung in den letzten zwei Jahren an den Nagel hängen?
Ich musste sie reduzieren, aber ganz darauf verzichten konnte ich nicht. Wenn es eine oder zwei Wochen gab, wo ich nicht dazu kam, wurde ich unleidlich. Ich brauche die Forschung, auch wenn ich dadurch in den letzten zwei Jahren mehr gearbeitet habe, als gesund für mich wäre. Meine Forschung besteht nicht nur aus Teamprojekten, sondern beinhaltet auch viel Kopfarbeit. Das braucht eine gewisse Aktivierungsenergie – ich kann nicht sagen: «Ich habe jetzt eine halbe Stunde Zeit, jetzt denke ich noch was.» Dafür ist die Euphorie, wenn man eine gute Idee gehabt hat, ein tolles Gefühl. Ich freue mich, wieder voll einzusteigen!