Die Welt schaut zu: Jugend und KI im Kampf gegen den Klimawandel
David Dao, Doktorand im DS3Lab des Departements Informatik, besuchte die UN-Klimakonferenz 2021 und erklärt in diesem Gastbeitrag, was die Informatik für den Klimaschutz tun kann.
«No more blah, blah, blah! COP26 act now!» Je mehr man sich dem Scottish Event Campus nähert, desto deutlicher sieht man die Protestschilder und desto lauter hört man die Stimmen der Menschen. Hunderte von Demonstrant:innen, jung und alt, versammeln sich täglich vor den Sicherheitstoren der UN-Klimakonferenz 2021, bekannt als COP26. Sie wollen die lange Schlange von Delegierten daran erinnern, was hier in Glasgow auf dem Spiel steht: die Zukunft unseres Planeten. «If not now, then when? Time is running out!»
Ich warte in der Schlange mit meinem obligatorischen COVID-Testresultat für heute. Am Morgen ist die Schlange vor dem Campus manchmal so lang, dass die Delegierten stundenlang warten müssen. Genug Zeit, um alle Protestschilder zu lesen und über sie nachzudenken. «Save our planet! The dinosaurs thought they had time too!» Das Ziel der COP26 ist es, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Alles, was darüber hinausgeht, könnte zu katastrophalen Folgen führen, sind sich die Wissenschaftler:innen einig. «The future is watching. If you fail, we will never forgive you.»
Die Welt hat mehr als zwei Jahre auf diese Klimakonferenz gewartet. Das Jahr 2020 war das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen, und die globale Erwärmung liegt bereits 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Für viele von uns, die in der Schlange stehen, ist klar: Dies ist unser letztes Jahrzehnt, um zu handeln.
Sobald man die Sicherheitskontrolle passiert und die COP26 betritt, sind die Geräusche der Demonstrant:innen seltsamerweise verschwunden. Stattdessen stellt sich ein Konferenzgefühl ein, das sich fast zu normal anfühlt: Die Delegierten eilen von einer Sitzung zur nächsten. Die Länder haben ihre eigenen Pavillons, in denen sie Veranstaltungen durchführen, Snacks anbieten und Souvenirs verteilen. Es gibt Restaurants, Food Courts, Kunstausstellungen und einen grossen Plenarsaal, in dem zwei Wochen lang die wohl wichtigste Verhandlung der Welt stattfinden wird. Zum Glück gewöhnt man sich nie an dieses Gefühl, denn wenn man am nächsten Morgen in der Schlange steht, wird man wieder daran erinnert, wie schwer die Verantwortung auf unseren Schultern lastet. Die Welt schaut zu.
Klimawandel und Informatik
Seit 2017 hatte ich das Privileg, als NGO-Beobachter und später als UN-Beobachter in der Blauen Zone an der COP teilzunehmen. Zunächst, indem ich einen Hackathon der Vereinten Nationen gewonnen hatte, und später durch die Kinder- und Jugendgruppe der UNFCCC (YOUNGO) und unsere Arbeit bei externe Seite GainForest.
Die Teilnahme an den COP hat meine Forschung und meine Arbeit über die Jahre hinweg beeinflusst. Leider werden künstliche Intelligenz und digitale Technologien den Politikern auf den COPs oft als einfache Lösungen für die Krise verkauft – ein falscher Eindruck. Die Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, witterten ihre Chance und fingen an, zwecks Greenwashing Werbung für die Technologie zu machen. Wir waren frustriert von diesen Entwicklungen und beschlossen zu handeln.
An der ETH Zürich untersuchen wir zusammen mit einer Gruppe talentierter Studierender, auf welchen Wegen künstliche Intelligenz bei der Bewältigung der Klimakrise helfen kann. Im Rahmen der externe Seite Climate + AI-Initiative haben wir am DS3Lab Benchmarks zur Überwachung und Bewertung von Vorhersagen über den Kohlenstoffvorrat (Carbon Stock) in Wäldern entwickelt. Gemeinsam mit Gemeinden vor Ort haben wir begonnen, mobile Applikationen und Belohnungssysteme für Citizen Science zu entwickeln. Innerhalb der weltweiten Gemeinschaft für maschinelles Lernen war ich einer der Hauptorganisatoren des grössten jährlichen NeurIPS-Workshops externe Seite «Tackling Climate Change with ML» und half beim Aufbau von externe Seite Climate Change AI, einer globalen Initiative, die wirkungsvolle Arbeit an der Schnittstelle zwischen Klimawandel und maschinellem Lernen fördert. Nun gewährt Climate Change AI externe Seite Innovationsstipendien über insgesamt 1,8 Millionen US-Dollar für sinnvolle Forschung. Von den geförderten Projekten verlangen wir einen klaren Pathway to Impact sowie ethische Überlegungen zur Nutzung der Technologie.
Bei der diesjährigen COP26 ging es Climate Change AI darum, die Wissenschaft wieder in den Vordergrund zu rücken und Hype von tatsächlicher Forschung zu unterscheiden. Künstliche Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug, aber kein Allheilmittel. Gemeinsam mit der externe Seite deutschen Regierung und den externe Seite Vereinten Nationen organisierten wir mehrere Veranstaltungen, um Entscheidungsträger zu informieren: Wie kann KI den Klimaschutz beschleunigen? Wie können politische Entscheidungsträger wirkungsvolle Forschung ermöglichen?
Hype, Promis und wahre Held:innen
Entscheidungsträger informieren ist eine der wichtigsten Aufgaben von jungen Forschenden, und in diesem Jahr waren der Hype und der Lärm besonders gross. Obwohl wir uns in einer globalen Pandemie befinden, war die COP26 mit mehr als 50 000 akkreditierten Teilnehmenden die bisher grösste Klimakonferenz. Viele Milliardäre nutzten ihren Einfluss und ihre Privilegien, um sich Zugang zu verschaffen und ihre Unternehmen und sich selbst zu profilieren. So sagte Jeff Bezos vor den Delegierten, dass ihm bei seinem Weltraumflug Anfang des Jahres endlich klar geworden sei, wie zerbrechlich die Natur und unser Planet sind.
Gleichzeitig war die COP26 eine der exklusivsten in der Geschichte. Wegen Impfvorschriften und absurd hohen Unterkunftspreisen – ein Bett in einem Schlafsaal in Glasgow konnte 30 000 US-Dollar kosten – konnten viele Vertreter:innen aus marginalisierten Gemeinschaften nicht teilnehmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei der Klimakrise nicht nur um extreme Wetterereignisse geht, sondern um Menschen. Das UNHCR schätzt, dass der Klimawandel seit 2010 mehr als 21 Millionen Menschen gezwungen hat, ihr Land zu verlassen. Künstlerische Darbietungen wie Little Amal, eine riesige Puppe, die zur Unterstützung von Flüchtlingen 8 000 km nach Glasgow gereist ist, erinnerten die COP-Delegierten daran, dass die Gemeinden an vorderster Front, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen haben, am meisten unter deren Folgen leiden.
«Ich möchte, dass Sie wütend bleiben», sagte der ehemalige US-Präsident Barack Obama externe Seite in seiner Rede auf der COP26, in der er sich an die wahren Held:innen unserer Zeit wandte: Youth Leadership. Die Fridays-for-Future-Proteste erinnern die Delegierten ausserhalb und innerhalb der Konferenzsäle immer wieder daran, wofür wir kämpfen. Die Jugendbewegung hat jedoch verstanden, dass Proteste allein nicht ausreichen – und viele junge Menschen setzen sich jetzt an vorderster Front aktiv für den Klimaschutz ein.
Junge Delegierte, die als Beobachter oder Verhandlungsführerinnen an der COP teilnehmen – wir nennen sie scherzhaft «jugendliche Infiltratoren» –, verstehen die Regeln der Vereinten Nationen oft sogar besser als die erfahrenen Verhandlungsführer:innen. Langsam beeinflussen sie wichtige Entscheidungen, die unseren Zeitgeist widerspiegeln, und sorgen dafür, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und die lokalen Gemeinschaften nicht auf der Strecke bleiben. Beobachter:innen wie Marie-Claire Graf aus der Schweiz, die als Anlaufstelle für YOUNGO diente und der grössten Jugenddelegation der Geschichte zur Akkreditierung für die COP verhalf, oder junge Delegierte wie Yumna Yusuf aus dem Vereinigten Königreich, die bei der Organisation der COP26 half und dafür sorgte, dass lokale Gemeinschaften und Klimagerechtigkeit ein wichtiges Thema auf der diesjährigen Konferenz wurden.
Youth Leadership spielt auch beim Technologietransfer eine entscheidende Rolle. Nach jahrelangen Verhandlungen hat YOUNGO nun einen Sitz im Beirat des Climate Technology Centre & Network (CTCN), dem operativen Arm des UNFCCC-Technologie-Mechanismus.
Vorwärts
Nach zwei anstrengenden Wochen hat die COP26 ihre Ziele leider nicht erreicht. Arme Länder werden keine finanziellen Entschädigungen für durch den Klimawandel verursachte Schäden erhalten, und die Industrie für fossile Brennstoffe konnte den endgültigen Text beeinflussen und wichtige Passagen abschwächen. Dies gibt Anlass zu Empörung, aber auch zu Optimismus, denn der Impuls für Veränderungen nimmt zu. Der Aktivismus der Jugend war noch nie so stark wie heute, und gleichzeitig erkennen junge Innovator:innen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, dass sie nicht auf die nächste COP warten müssen, um jetzt zu handeln.
Die ETH Zürich und ihre Professor:innen, Studierenden und Alumni stehen an der vordersten Front dieses Wandels und haben viele weltweit anerkannte Initiativen wie externe Seite Restor, externe Seite Climeworks und externe Seite Climate Change AI ins Leben gerufen. Machen wir uns also an die Arbeit.