Lehren mit Leidenschaft
Sie sind Dozenten, Wissenschaftler, Softwareentwickler und Innovatoren: Die Senior Scientists Fokus Lehre sind am Departement Informatik für den Informatikunterricht an anderen Departementen zuständig. Unterrichten ist allerdings längst nicht alles, was sie machen.
Es herrscht aufmerksame Stille im Auditorium, als Felix Friedrich die Auswertung arithmetischer Ausdrücke in der Programmiersprache C++ erklärt. Rund 450 Studierende im ersten Semester ihres Bachelorstudiums der Physik oder der Mathematik machen sich Notizen zu Begriffen wie Präzedenz, Assoziativität und Stelligkeit. Selbst im grössten Hörsaal des Maschinenlaboratoriums haben nicht alle von ihnen Platz, die Vorlesung wird deshalb live in einen zweiten Hörsaal übertragen.
Die Informatik hat sich immer mehr als Grundlagenfach etabliert. Felix Friedrich war 2015 einer der ersten Dozierenden am Departement Informatik, der hauptsächlich für die sogenannte Servicelehre zuständig ist: Informatikunterricht für Studierende anderer Departemente. «Der Bedarf nach Informatik-Servicelehre nimmt sehr stark zu», sagt Professor Peter Müller, Studiendirektor am D-INFK. «Gleichzeitig wachsen auch die Studierendenzahlen in der Informatik selbst. Da unsere Professoren diesem erhöhten Bedarf nicht alleine nachkommen können, haben wir für die Servicelehre ein eigenes Team an Fachkräften geschaffen.»
Das Team, zu dem auch Felix Friedrich gehört, umfasst zudem Lukas Fässler, Ghislain Fourny, Hermann Lehner, Dennis Komm und Malte Schwerhoff. Gemeinsam unterrichten die promovierten Informatiker und Mathematiker jedes Jahr rund 4000 Studierende an zwölf der 16 Departemente der ETH – ausserdem entwickeln und testen sie Tools und Plattformen für die Lehre, forschen und erfüllen administrative Aufgaben.
Forscher, die unterrichten
Felix Friedrich und Lukas Fässler begannen 2015 als erste eigens dafür angestellte Dozierende, Informatik-Servicelehre zu machen. In der wissenschaftlichen Hierarchie der ETH existierte jedoch noch keine geeignete Funktionsbezeichnung für ihr Aufgabenprofil und so galten die Dozierenden zunächst als technisch-administrative Mitarbeitende. «Das war eigentlich nicht korrekt, denn sie arbeiten wissenschaftlich», sagt Peter Müller. «Es gab aber keine andere Möglichkeit.»
«Wir sind überzeugt, dass die Kombination aus Forschung und Lehre wichtig ist, um Lehre auf höchstem Niveau anbieten zu können.»Professor Peter Müller, Studiendirektor
Das Departement Informatik, unter der Leitung des damaligen Studiendirektors Professor Gustavo Alonso, ergriff die Initiative für eine bessere Lösung. Gemeinsam mit der Schulleitung sowie mit anderen Departementen, die ebenfalls Servicelehre anbieten, versuchte es eine angemessene akademische Position für die Dozierenden zu schaffen. Mit Erfolg: Drei Jahre später konnten fünf der mittlerweile sechs Dozierenden am D-INFK in die neue Position Senior Scientist Fokus Lehre wechseln, die den Unterricht und die Forschungsaufgaben der Dozierenden widerspiegelt und ihnen angemessene Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
«Sowohl die Schulleitung als auch wir am Departement Informatik sind davon überzeugt, dass die Kombination aus Forschung und Lehre wichtig ist, um Lehre auf höchstem Niveau anbieten zu können – ganz nach dem Humboldtschen Bildungsideal», sagt Peter Müller. Für die Lehre sind die Senior Scientists Fokus Lehre direkt dem Studiendirektor unterstellt, ihre wissenschaftlichen Projekte verfolgen sie in unterschiedlichen Forschungsgruppen. So beschäftigt sich Felix Friedrich neben seinen zahlreichen Vorlesungen mit Programmiersprachen und Laufzeitunterstützung für Systems-on-a-Chip sowie mit High Performance Computing. Dennis Komm erforscht Algorithmen. Ghislain Fourny forscht aktiv im Bereich Data Science, während der Forschungsschwerpunkt von Malte Schwerhoff auf Software-Verifikation liegt. Sowohl Fourny als auch Schwerhoff betreuen zudem zahlreiche Bachelor- und Masterarbeiten und sind in der Studienadministration aktiv: Fourny betreut die Studiengänge Master in Data Science sowie den DAS in Data Science, Schwerhoff den CAS in Informatik.
Hermann Lehner verknüpft Forschung und Lehre enger: Gemeinsam mit der Abteilung Lehrentwicklung und Technologie (LET) und dem Departement für Geistes-, Staats- und Sozialwissenschaften (D-GESS) erforscht er das Lernen und Lehren von Informatik. «Viele unserer Vorlesungen sind ähnlich: Wir wollen den Studierenden eine Informatik-Grundausbildung vermitteln», erklärt er. «Dadurch können wir uns viel mehr mit dem ‹Wie› beschäftigen: Wie gestalten wir die Lehre, welche Tools setzen wir ein, welche Methodik wenden wir an?» Auch die Motivation der Studierenden, die mehrheitlich nicht die Informatik als ihr Studiengang gewählt haben, sei ein wichtiger Aspekt, führt Lehner aus. Auch er ist neben Forschung und Lehre administrativ tätig – als Studienkoordinator des Departements Informatik.
Wirksame Werkzeuge
Die Servicelehre stellt Dozierende vor besondere Herausforderungen, insbesondere gekoppelt mit den hohen Studierendenzahlen und den technischen Aspekten des Programmierunterrichts. Diesen Herausforderungen begegnet das motivierte Team, indem es eigene Tools für den Unterricht entwickelt. Lukas Fässler hat gemeinsam mit David Sichau und Markus Dahinden das virtuelle Programmierlabor «E.Tutorials» aufgebaut, das auf dem sogenannten «Flipped Classroom»-Modell beruht. Vom individualisierbaren Tutorial angeleitet, eignen sich die Studierenden die Programmierkenntnisse selbständig an, bevor sie sie anhand konkreter Beispiele aus ihren eigenen Fachgebieten anwenden. Anschliessend präsentieren sie die Ergebnisse einer Assistenzperson, die ihnen Feedback gibt und ihre Fragen beantwortet. Die begleitenden Vorlesungen helfen, die theoretischen Grundlagen zu vermitteln. Für ihre Arbeit haben Fässler, Dahinden und Sichau den KITE Award 2018 gewonnen.
Auch Hermann Lehner beschäftigt sich mit der Entwicklung von Tools für die Lehre, vor allem solcher, die Feedback zu Programmierübungen erleichtern. «Wir unterrichten sehr viele Studierende und haben in unseren grössten Kursen bis zu 40 Assistierende», sagt Hermann Lehner. «Wie können wir all unseren Studierenden qualitativ hochstehendes Feedback geben, ohne den Überblick zu verlieren oder den Arbeitsaufwand unrealistisch zu machen?» Die Lösung heisst Code Expert und wird unter der Leitung von Lehner von einem Team aus Dozierenden und Softwareentwicklern erarbeitet. In dieser webbasierten integrierten Entwicklungsumgebung (IDE) können Studierende Programmierübungen lösen. Die Lösungen werden automatisch beurteilt, was den Assistierenden die Mühe erspart, das Programm jedes einzelnen Studierenden manuell auszuführen und nach Fehlern darin zu suchen. «Stattdessen können die Assistierenden das Resultat aus Code Expert nutzen, um den Studierenden persönliches Feedback zu geben», erklärt Hermann Lehner. Auch bei Programmierprüfungen soll Code Expert vermehrt zum Einsatz kommen.
Lehren und dazulernen
Der Austausch, ob bei der Toolentwicklung oder bei der Lehre, ist für das schlagkräftige Team zentral. «Wir halten unsere Vorlesungen oft zu zweit ab, bereiten das Material zusammen auf und diskutieren über Aspekte der Lehre», sagt Hermann Lehner. Diese Zusammenarbeit wird in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen, insbesondere, da am Departement Informatik neue Professuren im Bereich Education in Planung sind – eine gute Gelegenheit für gemeinsame Forschung.
«Mittelfristig werden wir nicht nur Grundlagenvorlesungen, sondern auch spezialisierte Vorlesungen für andere Departemente anbieten, unter anderem in Bereichen wie Data Science, Security und Software Engineering», sagt Peter Müller. «Der Bedarf ist sehr gross: In gewissen Informatikvorlesungen auf Masterstufe sitzen zu 20 bis 30 Prozent Studierende aus anderen Departementen, bei Machine Learning ist es gar die Hälfte.» Das Team der Senior Scientists wird entsprechend wachsen: Die Schulleitung hat dafür bereits die Finanzierung zugesprochen.
Auch die Qualität der Lehre im Basisjahr wird in Zukunft noch mehr gefordert sein, glaubt Felix Friedrich. «Die Mehrheit unserer Studierenden hat kein Vorwissen in der Informatik», sagt er. «Heute gibt es aber bereits in Primarschulen Informatikunterricht. Wenn man während der ganzen Schulzeit darauf aufbaut, werden die Studierenden mit ganz anderem Grundlagenwissen zu uns kommen. Darauf sollten wir vorbereitet sein.»
Zurzeit sind die meisten Studierenden mit dem aktuellen Niveau der Vorlesungen gut gefordert. Das ergibt zumindest die Umfrage, die Hermann Lehner in der zweiten Semesterwoche bei rund 300 Studierenden der Umweltingenieurwissenschaften und der Raumbezogenen Ingenieurwissenschaften durchgeführt hat. Die anonymisierten Rückmeldungen zur ersten Übung in Code Expert flatterten eine nach der anderen hinein: Wertvolles Feedback für Hermann Lehner, mit dem er sowohl die Vorlesung als auch das Tool Code Expert weiterentwickeln kann.