«Gäbe es am Departement nur Professoren wie mich, wäre das eine Katastrophe»

Nach zweieinhalb Jahren an der Spitze des Departements Informatik zieht Professor Emo Welzl ein Resümee. Im Interview spricht der scheidende Departementsvorsteher über die Zukunft der Informatik, die Balance zwischen Theorie und Praxis und die Bedeutung von Berufungen.

Prof. Emo Welzl

Professor Welzl, Sie haben das Amt des Departementsvorstehers per Anfang 2019 an David Basin abgegeben. Fällt es Ihnen schwer, sich von diesem Posten zu lösen?
Nicht wirklich, aber ein Epsilon mehr, als ich gedacht hätte. Es überrascht mich, dass mir manchmal doch der eine oder andere nostalgische Gedanke kommt. Ich mache mir aber keinerlei Sorgen, das Departement ist in sehr guten Händen.

Haben Sie sich freiwillig auf dieses Amt beworben?
Ich glaube nicht, dass das jemand wirklich freiwillig macht. Damit ist aber die Einsicht verbunden, dass jemand diesen Job machen muss. Nicht jeder nimmt diese Position an. So etwas macht man nicht nebenbei, das okkupiert einen zu 100 Prozent – zumindest mich. Hätte ich versucht, dabei noch gross Forschung zu betreiben, hätte ich mich zu sehr zerrissen. Aber ich hatte so ein gutes Leben in der Wissenschaft, dass ich nach all den Jahren gerne etwas zurückgeben wollte.

Waren Sie überrascht von diesem Arbeitsaufwand?
Ich war 16 oder 17 Jahre lang im Departementsausschuss aktiv und wusste dadurch, dass die Departementsführung sehr aufwendig ist. Überrascht hat mich, dass der Aufwand mit der Zeit immer grösser wird. Vor zehn Jahren war er noch viel geringer als heute. Die Anforderungen steigen, der administrative Apparat wächst und das Interesse an der Informatik nimmt zu. So entsteht ein grosses Volumen an vielen kleinen Dingen, die im täglichen Betrieb anfallen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Berufungen neuer Professorinnen und Professoren, und das ist die zeitaufwendigste Aufgabe von allen.

Welche Aufgabenbereiche der Departementsführung haben Ihnen am meisten zugesagt?
Die Berufungen sind am spannendsten. Der Markt ist sehr kompetitiv. Die Leute, die wir wollen, sind auch an anderen Universitäten und in der Industrie gefragt. Man begegnet sich auf Augenhöhe: Die Kandidatinnen und Kandidaten beurteilen uns und wir sie. Dieser Prozess braucht Zeit und bringt grosses Frustrationspotenzial mit sich, wenn eine geeignete Person sich am Schluss für etwas anderes entscheidet. Aber wenn die Person zusagt, hat man das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Das fehlte mir im Alltagsgeschäft, wo man nach stundenlangem Beantworten von E-Mails trotzdem nicht den Eindruck hat, etwas Konkretes abgeschlossen zu haben.

Welche Tipps können Sie Ihrem Nachfolger David Basin geben?
Die habe ich ihm bereits gegeben. Wir haben über Monate einen sehr intensiven Austausch gehabt. Offensichtliches will ich nicht als Empfehlung formulieren, denn das ist der anderen Seite bereits vollkommen klar. David Basin weiss zum Beispiel genau, dass das Berufungsgeschäft das Wesentliche ist und dass dabei eine gute Balance zwischen der Kernwissenschaft und der Anwendung wichtig ist. Denn gerade in einem Gebiet mit so hoher Relevanz wie der Informatik besteht die Tendenz, sich zu stark an den Anwendungen zu orientieren.

«Wissenschaftler sind Experten auf ihrem Gebiet. Manchmal laufen sie aber Gefahr zu glauben, dass sie auch auf anderen Gebieten Experten sind.»Professor Emo Welzl

Sie sind selbst ein Theoretiker. Plädieren Sie für mehr Theorie am Departement?
Das Gleichgewicht ist wichtig. Die Grundlagen- und Theoriefächer sollten sich parallel mit den Anwendungen weiterentwickeln. Die Theorie ist an allen guten Universitäten stark vertreten, auch bei uns. Ich glaube, die sehr fundierte Ausbildung, die wir bieten, macht einen grossen Teil unseres Erfolgs aus. Nicht nur, weil es Theorie gibt, sondern weil es eben beides gibt. Hätte es am Departement nur Theoretiker wie mich, wäre das eine Katastrophe. Ebenso schlimm wäre es, wenn es gar keine gäbe. Diese Balance für die Zukunft zu finden, ist das Spannende am Berufungsgeschäft.

Glauben Sie, das Departement wird weiterhin so stark wachsen?
Es ist wie auf der Börse: Es wächst so lange, bis es übers Ziel hinausschiesst. Wenn die Aktienkurse steigen, meinen alle genau zu wissen, warum dieser Zyklus anders ist als alle vorangegangenen und warum es diesmal kein Bergab gibt. Die Realität kann anders ausfallen. Es gab bereits die Dotcom-Blase, die dann geplatzt ist. Der Unterschied zur heutigen Zeit ist, dass der Dotcom-Boom damals der einzige grosse Internet-Hype war. Heute gibt es verschiedene Gebiete der Informatik, die relativ unabhängig voneinander boomen: Sicherheit, Data Science, Machine Learning, Medizininformatik und mehr. In zehn Jahren sind einige davon vielleicht weniger relevant und es kommen neue dazu, aber dass sie alle keine Rolle mehr spielen, das kann man sich nicht vorstellen. Natürlich gibt es alle möglichen Erklärungen, warum es mit der Informatik jetzt nicht mehr bergab gehen kann, aber wir können die Zukunft nicht genau voraussagen.

Sie kamen 1996 an die ETH. Ahnten Sie damals, dass die Informatik so stark wachsen würde?
Es war klar, dass die Informatik das Potenzial hat, die Gesellschaft stark zu verändern. Was einem jedoch nie im Voraus klar ist, ist die Dimension dieser Entwicklung. So etwas wie ein Smartphone konnte man grundsätzlich auch vor 30 Jahren bauen. Nur wäre es extrem gross und sehr teuer gewesen. Das Verblüffende ist, dass dieses Gerät meine Schritte zählt, in hoher Qualität fotografiert, mir sagt, wann die nächste Strassenbahn fährt, auch noch telefonieren kann – und das auf so kleinem Raum. Hätte mir vor 30 Jahren jemand gesagt, dass es ein solches Gerät einmal geben wird, hätte ich gedacht, dass ich das nicht mehr erleben würde.

Welche Herausforderungen entstehen für das Departement durch das rasante Wachstum der Informatik?
Es gibt sehr viele, wobei man jede Herausforderung auch als Chance sehen kann. Eine der grössten Herausforderungen für uns ist die Nachfrage in jeglicher Hinsicht: von den Studierenden, von der Politik, von der Industrie und von der Öffentlichkeit. Die Informatik verändert die Gesellschaft, zu einem gewissen Anteil positiv, zu einem gewissen Anteil negativ – vorausgesetzt, man ist in der Lage, eindeutig zu bestimmen, was nun positiv und was negativ ist. Die Idee, die Informatik mache uns alle glücklich, ist illusorisch. Sie bringt auch grosse Probleme mit sich, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, damit die Informatik dem Menschen wirklich dienlich ist.

«Die Idee, die Informatik mache uns alle glücklich, ist illusorisch. Sie bringt auch grosse Probleme mit sich.»Emo Welzl

Ist das Departement für diese Herausforderungen gut gerüstet?
Wir sind gezwungen – und das ist gut so – uns immer wieder neue Strategien für die Zukunft zu überlegen. In unseren Kerngebieten sind wir sehr gut gerüstet. Dort besteht die Herausforderung darin, hinreichend viele gute Talente zu finden. Weniger gut aufgestellt sind wir bei den gesellschaftlichen und ethischen Aspekten, die unsere Kernkompetenzen übersteigen. Hier müssen wir uns entscheiden, ob wir diese Fragen selbst angehen oder ob wir dafür andere beiziehen, die das besser können. Wissenschaftler sind Experten auf ihrem Gebiet. Manchmal laufen sie aber Gefahr zu glauben, dass sie auch auf anderen Gebieten Experten sind, insbesondere bei diesen ethischen und gesellschaftlichen Fragen. Bei tiefer Mathematik kommt wohl niemand in Versuchung zu glauben, dass er das auch einfach so kann. Bei den Sozialwissenschaften ist es schnell passiert. Aber es macht einen grossen Unterschied, ob man sich intensiv damit beschäftigt oder ob man einfach gelegentlich die Zeitung liest. Glücklicherweise gibt es an der ETH das Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften (D-GESS), mit dem wir solche Fragen koordiniert angehen können. Ich glaube, dass das D-GESS innerhalb der ETH eine immer grössere Rolle spielen wird.

Hat das System mit einem wechselnden Departementsvorsteher Zukunft, wenn es so viele strategische Entscheidungen zu treffen gilt? Wäre ein fester Dekan nicht besser?
Ich denke, unser System ist gut, obschon beides Vor- und Nachteile hat. Ich glaube, dass Systeme, die nicht zu stark in nur eine Richtung geführt werden, bessere Überlebenschancen haben. Unser System hat seinen Preis: Es legt mindestens einen Professor am Departement für die Zeit der Amtsdauer lahm. Für mich ist es das wert. Wenn das jemand unbefristet machen würde, wäre das politisch mit einer Diktatur zu vergleichen. Wenn man aber aus dem Kollektiv heraus für zwei Jahre die Führung übernimmt und danach wieder in dasselbe Kollektiv zurückkehrt, ist es eine ganz andere Voraussetzung.

Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Zuerst gehe ich für ein halbes Jahr in ein Sabbatical, nach Wien und nach Berlin. Ich möchte wieder einmal richtig forschen. Aber ich will auch überlegen, was ich danach mache. Ich habe jetzt noch fünf Jahre bis zur Emeritierung. Es kann gut sein, dass ich in diesen fünf Jahren gleich wie zuvor mit Forschung und Lehre weitermache. Aber vielleicht will ich mich auch mehr für die Weiterentwicklung der Lehre engagieren. Es ist ein spannender Bereich, den sowohl das D-INFK als auch die ETH intensiver angehen wollen. Wir haben immer mehr Studierende, gleichzeitig wird es aber auch schwieriger, gutes Lehrpersonal zu bekommen. In dieser Situation kann die Informatik nützliche Werkzeuge liefern. Auch ist mir die Spannung zwischen Bildung und Ausbildung ein Anliegen. Gerade, wenn ein Gebiet so relevant ist und starkem gesellschaftlichem und politischem Druck ausgesetzt ist, besteht die Gefahr, dass man zu viel Gewicht auf Ausbildung legt, also auf reine Akquisition von Kompetenzen. Meine Hoffnung ist, dass wir eine höhere bildende Schule bleiben, nicht nur eine ausbildende.

Werden Sie weiterhin im Departementsausschuss aktiv sein?
Das werde ich definitiv nicht mehr – auch wenn ich es wollte. Es ist an der Zeit, dass andere Leute das Ruder übernehmen. Und es gibt viele am Departement, die diesen Job sehr gut machen können, da habe ich gar keine Sorgen.

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