Prof. Friedemann Mattern über die Infosphäre: die Computer-Metamorphose

Heute stellen Computer keine Rechenmaschinen oder EDV-​Anlagen mehr dar, sondern Fenster zum Internet. Bald werden sie eine weitere Verwandlung durchmachen.

Vor 100 Jahren war «Computer» noch eine Berufsbezeichnung. Elektronische Rechner kannte man noch nicht, und der Rundfunk befand sich erst im Experimentierstadium. Dennoch wurde 1910 im Buch «Die Welt in 100 Jahren» etwas Fantastisches prophezeit: «Es wird jedermann sein eigenes Taschentelephon haben, durch welches er sich, mit wem er will, wird verbinden können, einerlei, wo er auch ist, ob auf der See, in den Bergen, dem durch die Luft gleitenden Aeroplan.» Mit diesem «Wunder der Kleinmechanik» würden «Monarchen, Kanzler, Diplomaten, Bankiers, Beamte und Direktoren ihre Geschäfte erledigen können, wo immer sie sind».

Spätere Technikprognosen waren leider weniger treffgenau: Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Atomautos, Haushaltsroboter und Mondkolonien für das Jahr 2000 prophezeit, doch niemand dachte an PCs, Digitalkameras oder das Internet – ganz zu schweigen von E-Mail, Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken. All dies erscheint uns heute selbstverständlich – wieso hat es dann niemand vorhergesehen?

Der Grund liegt im enormen Entwicklungstempo der Informatik. Seit der Erfindung des Digitalcomputers vor rund 70 Jahren verdoppeln sich alle anderthalb bis zwei Jahre Geschwindigkeit und Speicherkapazität, gleichzeitig nehmen Grösse und Preis ab. Für die Software, die ja erst dem Computer seine Funktion gibt, standen so alle zwölf Jahre fast 100 Mal mehr Ressourcen bereit. Dadurch konnte sich der Computer mehrfach grundlegend wandeln: Von einer reinen Rechenanlage über ein kommerziell nützliches Datenverarbeitungssystem hin zu einem persönlichen Bürogerät und weiter zum mobilen Internetzugang für jeden. Die späteren Erscheinungsformen dieser Metamorphose glichen in fast nichts den früheren.

Offenbar fiel es selbst den Computerherstellern schwer, diese Verwandlung vorherzusehen: Braucht ein Kaufhaus einen Elektronenrechner, der für komplizierte mathematische Berechnungen gedacht ist? Benötigt eine Hausfrau eine Datenverarbeitungsanlage? Kein Wunder, dass bei so «falsch» gestellten Fragen ganze Konzerne von der Bildfläche verschwanden und mit jeder weiteren Metamorphose völlig neue Marktteilnehmer auftauchten.

Wie wird es weitergehen mit der Metamorphose des Computers? Welche neue Funktion wird dieser alsbald übernehmen? Da der Fortschritt ungebremst weitergeht, werden Computer noch viel kleiner und billiger werden und Sensoren sowie Funkkommunikation integriert bekommen. Sie können dann in beliebige Alltagsdinge eingebaut werden. Gegenstände werden sich so ihres Kontextes «bewusst», kommunizieren untereinander und nutzen bei Bedarf die mächtigen Dienste der Cloud. Der physischen Welt wird damit eine unsichtbare «Infosphäre» überlagert, an einigen Stellen verschmelzen diese sogar zu einem «Cyber Physical System». Die eingebetteten Computer selbst sind kaum wahrnehmbar, sie treten nur indirekt über die Gegenstände in Erscheinung.

Wenn wir es richtig anstellen, dann kann eine mit den Dingen der Welt verwobene Infosphäre einen hohen Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft stiften. Oder in den Worten des anfangs erwähnten Buches: «Alle diese Wunder werden das kommende Zeitalter zu einem grossartigen, unglaublichen machen.»

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