«Wir müssen etwas tun!»

21.04.2020 | Anna Ettlin

Nicola Rüegsegger und Pascal Wacker studieren auf dem zweiten Bildungsweg Informatik an der ETH Zürich. Mit ihrem Know-how halfen sie beim Aufbau von zwei Plattformen, die den stark belasteten Spitälern Studierende und Personal vermitteln.

Nicola Rüegsegger und Pascal Wacker
Nicola Rüegsegger (links) hat eine Erstausbildung als Arzt, Pascal Wacker als Mediamatiker – ideale Voraussetzungen, um an der Schnittstelle zwischen dem Gesundheitswesen und der Technologie anzupacken.

Als sich das Coronavirus in der Schweiz auszubreiten begann, wurde Nicola Rüegsegger und Pascal Wacker schnell klar: Wir müssen etwas tun! Ihr Bachelorstudium hatten die beiden Informatikstudenten beinahe abgeschlossen, Vorlesungen hatten sie kaum noch. Sie hatten also nicht nur den Willen, zu helfen, sondern auch die Zeit – und das Know-how, denn die beiden haben 2018 externe Seiteein Start-up gegründet, das sich auf HR-Tech im Gesundheitswesen spezialisiert.

Sowohl Rüegsegger als auch Wacker haben einen eher ungewöhnlichen Werdegang für Informatikstudenten an der ETH Zürich: Wacker hat nach einer Lehre als Mediamatiker bereits viele Jahre in der Informatik gearbeitet, Rüegsegger hat eine Erstausbildung als Arzt. Perfekte Voraussetzungen also, um in der Coronakrise an der Schnittstelle zwischen Technologie und Gesundheitswesen anzupacken.

Professor Jörg Goldhahn von der ETH Zürich brachte Rüegsegger und Wacker mit der Initiative externe SeiteStudents4Hospitals in Kontakt, die von ETH-Studierenden gestartet wurde, um Studierende aus allen Disziplinen als Aushilfen ans Gesundheitswesen zu vermitteln. Students4Hospitals brauchte noch Hilfe mit der technischen Umsetzung der Plattform. Mit der Unterstützung von zwei ihrer Mitstudenten, Raphael Koch und Florian Moser, gestalteten Wacker und Rüegsegger in kürzester Zeit die Website. Die Arbeiten erledigten sie im Homeoffice, da der externe SeiteRocket Hub des ETH Entrepreneur Clubs, in dem sie normalerweise arbeiten, wie alle anderen ETH-Räumlichkeiten geschlossen ist.

«In der Webentwicklung hat man nie genug Zeit, aber so einen verrückten Sprint habe ich noch nie erlebt.»Pascal Wacker

«Am Mittwoch kontaktierten wir Jörg Goldhahn, am Donnerstag hatten wir das erste Zoom-Meeting mit dem Students4Hospitals-Team und am Montag ging die Plattform bereits live», erinnert sich Rüegsegger. «Grundsätzlich hat man in der Webentwicklung nie genug Zeit, aber so einen verrückten Sprint habe ich noch nie erlebt», ergänzt Wacker. Dass ihr Studium darunter leidet, halten die beiden allerdings für unwahrscheinlich. Wacker muss nur noch einzelne Fächer abschliessen, bei Rüegsegger steht noch die Bachelorarbeit an, die er zu Beginn der Coronakrise pausiert hat. «Ich hatte damit gerechnet, dass ich bald im Spital gebraucht werde», erklärt er.

Auch Fachkräfte vermitteln

Mit Students4Hospitals war die Arbeit der beiden Informatikstudenten noch nicht abgeschlossen. Ihr Start-up Medison GmbH betreibt eine Karriereplattform für Ärztinnen und Ärzte, sodass Rüegsegger und Wacker im Arbeitsmarkt des Gesundheitswesens gut vernetzt sind. Schnell zeichnete sich auch bei den medizinischen Fachkräften der Bedarf nach einer zentralen Plattform ab, um die Vermittlung von Fachkräften an Spitäler zu vereinfachen. Unter der Leitung von Jörg Goldhahn und in Zusammenarbeit mit diversen Berufsverbänden (u. a. der FMH) baute Medison in einem zweiten Sprint die Plattform externe SeiteCare Now. «Wir waren etwa zehn Tage im Dauereinsatz», erinnert sich Rüegsegger. «Ich habe sechs Stunden pro Nacht geschlafen und die restliche Zeit gearbeitet», ergänzt Wacker.

Care Now war in Rekordzeit in Betrieb. Wo Students4Hospitals Studierende als Aushilfen vermittelt, deckt Care Now den Bedarf an medizinischen Fachkräften, seien das Ärztinnen, Pfleger oder andere Gesundheitsschaffende wie Physiotherapeuten. Ähnlich wie bei Students4Hospitals melden Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen auf Care Now ihren Bedarf an. Fachkräfte registrieren sich ebenfalls auf der Plattform. Ein Team von Hilfsassistierenden der ETH Zürich teilt die Helfer anschliessend den Spitälern zu.

Innert kürzester Zeit meldeten sich rund 1000 medizinische Fachpersonen auf Care Now an, und eine ähnliche Anzahl Studierende auf Students4Hospitals. Tatsächlich im Einsatz sind bisher in beiden Bereichen etwa je 50 Personen.

Arbeit im Non-Profit-Modus

Auch Rüegsegger selbst musste seine Arbeit als Arzt noch nicht wieder aufnehmen. «Die Lage in der Schweiz ist den Umständen entsprechend aktuell sehr erfreulich», sagt er, «und falls sich die Situation doch noch verschlechtern sollte, stehen die zwei Helferpools für den Einsatz bereit.»

Sollte es so weit kommen, wird auch der Arbeitsaufwand für die beiden Entwickler wieder grösser. Beide sind aber zuversichtlich, dass sie ihr Bachelorstudium trotz Doppelbelastung noch dieses Jahr plangemäss und im Rahmen der zulässigen Studiendauer abschliessen können.

«Ich habe mich für den Arztberuf entschieden, weil ich Menschen helfen wollte. Wenn ich die Technologie dazu nehme, habe ich noch viel mehr Möglichkeiten, genau das zu tun.»Nicola Rüegsegger

Ob die Plattformen Students4Hospitals und Care Now nach der Coronakrise weiter bestehen, steht noch in den Sternen. «Medison bleibt nach wie vor im Arbeitsmarkt des Gesundheitswesens tätig», sagt Rüegsegger. «Wir haben viel gelernt und mit neuen Partnern gearbeitet.» Verdient haben Wacker und Rüegsegger an den zwei Plattformen nichts – Medison hat sogar die Hostingkosten für Students4Hospitals und Care Now übernommen. «Geld verdienen stand für uns nicht im Vordergrund. Wir haben das Start-up gleich zu Beginn der Krise vorübergehend in den Non-Profit-Modus überführt», sagt Wacker.

Weiterkommen dank Informatikstudium

Nach dem Bachelor wollen sich Wacker und Rüegsegger zunächst auf ihr Unternehmen fokussieren. «Meine Leidenschaft ist das Entwickeln und Programmieren von Systemen», sagt Wacker. «Daher will ich Vollzeit für Medison arbeiten.» Das Studium an der ETH Zürich hat der gelernte Mediamatiker sehr geschätzt. «In der Lehre wird einem beigebracht, wie man etwas macht», vergleicht er. «An der ETH beschäftigt man sich viel mehr mit dem ‹Warum›, was ich extrem interessant finde.» Dank Wackers über zehnjährigen Berufserfahrung fielen ihm praktische Fächer wie Networks und Database Systems leichter als vielen seiner Kommilitonen. «In den mathematischen Grundlagenfächern hatte ich dagegen mehr Mühe», sagt er.

Auch Rüegsegger will sich nach dem Bachelorabschluss erstmal dem Start-up widmen. Ein Masterstudium in ein paar Jahren schliesst er nicht aus. «Die Atmosphäre an der ETH ist sehr willkommen heissend, auch wenn man ein Quereinsteiger ist», sagt er. Seine Rolle sieht er in Zukunft als Koordinator an der Schnittstelle zwischen den beiden Welten der Informatik und der Medizin. «Ich habe mich für den Arztberuf entschieden, weil ich Menschen helfen wollte», erklärt er. «Wenn ich die Technologie dazu nehme, habe ich noch viel mehr Möglichkeiten, genau das zu tun.»

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