«Frauen sind in der Informatik genauso gut wie Männer»

24.01.2020 | Anna Ettlin

Das CSNOW (Network of Women in Computer Science) unterstützt und vernetzt Frauen am Departement Informatik. Zum Jahreswechsel ändert sich auch die Leitung der Organisation. Lara Schmid, Doktorandin in der Information Security Group, hat CSNOW während zwei Jahren mitgeleitet, zuerst mit Yeara Kozlov, später mit Mridula Singh und Alexandra Ion, die die Leitung nun übernehmen. Zugleich gibt nach acht Jahren auch die für CSNOW zuständige Professorin, Olga Sorkine-Hornung, die Führung ab. Im Interview blicken beide Frauen auf Ihre Zeit bei CSNOW zurück und erklären, warum Frauen am Departement Informatik nach wie vor unterstützt werden sollten.

Lara Schmid und Prof. Olga Sorkine-Hornung
Doktorandin Lara Schmid und Professorin Olga Sorkine-Hornung betonen, dass es wichtig ist, Informatikstudentinnen zu unterstützen.

Wann und warum habt ihr euch für das Engagement bei CSNOW entschieden?
OS: Als ich vor neun Jahren an die ETH kam, bat mich Professor Friedemann Mattern, die Verantwortung zu übernehmen. Er war mein Vorgänger in dieser Rolle. Damals hiess CSNOW noch «Frauenförderung».

LS: Auch ich wurde vor zwei Jahren von meinen Vorgängerinnen angefragt. Ich hatte schon zuvor einen Vortrag für die Teilnehmerinnen des Schnupperstudiums gehalten und kannte die Leiterinnen. Je länger ich dabei bin, desto wichtiger finde ich es, Frauen am Departement zu fördern.

Warum ist Frauenförderung wichtig fürs Departement Informatik?
LS: Wir müssen gegen das Vorurteil ankämpfen, dass Frauen nicht hierher gehören. Wir sind noch immer sehr wenige Frauen am Departement. Mich persönlich hat das nie verunsichert, aber während meiner Zeit bei CSNOW habe ich immer wieder von anderen Studentinnen gehört, dass sie darunter gelitten haben.

OS: Ich muss gestehen, als ich an die ETH kam, dachte ich, dieses Problem sei gelöst. Ich hatte vorher in Israel und den USA studiert und gearbeitet. Beide Länder sind diesbezüglich bereits etwas weiter. Zudem war ich viel jünger und etwas blauäugig. Während meines Bachelorstudiums in Israel gab es einige Professorinnen, die an meiner Universität unterrichtet haben. Hier habe ich mich vor wenigen Jahren mit einer Studentin unterhalten, die erst in der Mitte des Gesprächs realisiert hat, dass ich eine Professorin bin. Sie sagte, sie sei im sechsten Semester und habe noch nie eine weibliche Dozentin gehabt. Da wurde mir klar, dass viele unserer Studentinnen nach wie vor ganz andere Erfahrungen machen als ich. CSNOW hilft Frauen am Departement, sich zu vernetzen und sichtbarer zu machen, sodass Bachelorstudentinnen sehen, dass es auch Masterstudentinnen, Doktorandinnen und Professorinnen in der Informatik gibt.

Was hat CSNOW bis jetzt erreicht?
OS: Der Frauenanteil im Bachelorstudium ist leicht gestiegen, wenn auch nicht so stark, wie wir es uns wünschen: von neun Prozent 2010 auf zwölf Prozent 2018. Aber darauf haben wir nur begrenzt Einfluss. Der wichtigste Teil unserer Arbeit ist das Wohlbefinden und die Vernetzung der Frauen hier am Departement. Wir bieten heute viel mehr Events und Aktivitäten an als noch vor neun Jahren. Ich glaube auch, dass am Departement mittlerweile mehr Offenheit herrscht gegenüber Themen wie Gleichstellung und Diversity. Die jüngere Generation ist sich dieser Probleme viel mehr bewusst, auch Männer setzen sich vermehrt dafür ein.

LS: Wir würden uns freuen, wenn noch mehr Männer bei CSNOW mitmachen würden. Es ist uns wichtig, immer auch Männer im Team zu haben, denn wir wollen kein reiner Frauenverein sein.

OS: Noch eine erfreuliche Entwicklung, wenn es auch nicht alleiniger Verdienst des CSNOW ist: Als ich 2011 an die ETH kam, waren wir nur drei Professorinnen am Departement. Bis Ende 2020 werden wir sieben sein. So viele Professorinnen hatte das Departement noch nie!

«Vor wenigen Jahren habe ich mich mit einer Studentin unterhalten, die im sechsten Semester war und noch nie eine weibliche Dozentin gehabt hatte.»Prof. Olga Sorkine-Hornung

Hattet ihr jemals das Gefühl, auf verlorenem Posten zu kämpfen?
LS: Zwischendurch war es etwas frustrierend, dass sich der Frauenanteil trotz aller Bemühungen kaum erhöht hat. Aber das ändert sich nun mal nicht von einem Jahr aufs nächste. Die Stimmung im Team und bei den Studentinnen war immer positiv, da war der Frust schnell wieder vergessen.

OS: Wir hatten immer ein super Team, das mit Leidenschaft auf unsere Ziele hingearbeitet hat. Zu Beginn glaubten Kollegen am Departement, mit CSNOW sei die Frauenförderung ausreichend abgedeckt und es bestehe kein weiterer Handlungsbedarf. Diese Sichtweise hat sich mit den Jahren glücklicherweise geändert.

CSNOW will jungen Frauen weibliche Informatikerinnen als Vorbilder zeigen. Hattet ihr selbst solche Vorbilder?
OS: Neben meinen Dozentinnen im Studium habe ich meine Mutter, die Mathematik studiert und als Softwareingenieurin gearbeitet hat. Ich habe sie aber nicht als Vorbild wahrgenommen, für mich war das einfach normal. Meine Familie kommt ursprünglich aus Osteuropa, wo die Kultur anders ist: Fast alle Frauen arbeiten. Die Schweiz war deshalb ein Kulturschock für mich.

LS: Ich hatte kaum weibliche Professorinnen, aber beruflich haben mich sicher auch männliche Vorbilder inspiriert. Allerdings hat auch meine Mutter immer gearbeitet, obwohl sie nichts mit Mathematik oder Informatik zu tun hatte, also gehörte das auch für mich zur Normalität. Meine Familie hat mich ausserdem immer ermutigt, das zu tun, was ich will, und nicht in Schubladen zu denken.

Gibt es ein Vorurteil gegen Frauen in der Informatik, das ihr nie mehr hören wollt?
OS: Es gibt so viele! Zum Beispiel, dass Frauen nur in die Informatik gehen, wenn die Arbeit dem Wohl der Menschen und der Gesellschaft dient. Einerseits glaube ich, dass Arbeit für einen guten Zweck auch für Männer motivierend ist, andererseits kenne ich viele Frauen – inklusive mich selbst – die auch gerne an komplett abstrakten Problemen arbeiten. Ich finde dieses Vorurteil sehr ärgerlich, weil es impliziert, dass es in der Informatik gar nicht gleich viele Frauen wie Männer geben sollte. Glaubt man diesem Stereotyp, so gibt es keine sozialen und gesetzlichen Hindernisse mehr und die Ursache liegt bei den Frauen selbst, weil ihr Gehirn anders funktionieren soll als das von Männern. Aktuelle Forschung zeigt aber, dass das nicht stimmt.

LS: Ja, das höre ich auch nicht gern. Viele denken, Frauen seien halt einfach nicht an Informatik interessiert. Mit dieser Argumentation macht man es sich zu einfach. Es wird vergessen, dass unsere Erziehung und die Gesellschaft einen grossen Einfluss auf unsere Meinungsbildung haben.

«Ich verstehe, dass sich Männer manchmal verunsichert fühlen und nicht genau wissen, wie sie sich verhalten sollen. Dafür gibt es aber eine relativ einfache Lösung: einfach mal fragen.»Lara Schmid

Habt ihr selbst Vorurteile erlebt?
LS: Oftmals reagieren Leute sehr überrascht, wenn ich ihnen sage, dass ich Informatik studiere: «Was, wirklich? Du? Informatik?». Das irritiert mich ein wenig. Es ist ja nichts wirklich Schlimmes, aber es kann trotzdem entmutigend sein, wenn man glaubt, sich immer rechtfertigen zu müssen.

OS: Später kommt noch hinzu, dass viele Leute an positive Diskriminierung von Frauen glauben. Dann heisst es, deine Publikationen werden nur zitiert, weil du als Frau sichtbarer bist, und diese Stelle oder diesen Preis hast du auch nur deswegen bekommen. Diese Einstellung ist das Gegenteil positiver Diskriminierung, weil sie sich sehr negativ auf das Selbstvertrauen und das Selbstbild auswirkt.

Was können wir alle gegen diese Vorurteile tun?
OS: Jede und jeder kann seine eigenen Stereotypen hinterfragen. Zum Beispiel kann man, wenn man einen Beruf nennt, auch einmal die feminine Form verwenden. Es ist nicht immer der Arzt, der Architekt und der Professor. Und nicht annehmen, dass Mädchen immer nur rosa Puppen wollen.

LS: Ich glaube, alle haben Stereotypen. Man kann sich fragen: Welche Rolle spielen diese Vorurteile in meinem Alltag? Wo verhalte ich mich nicht ganz gleich, je nachdem, wer mir gegenübersteht? Sich dessen bewusst zu werden, ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung. Ich verstehe, dass sich Männer manchmal verunsichert fühlen und nicht genau wissen, wie sie sich verhalten sollen. Dafür gibt es aber eine relativ einfache Lösung: einfach mal fragen, zum Beispiel im Rahmen eines Diskussionsevents zu diesem Thema.

Was würdet ihr einer jungen Frau raten, die gerade mit ihrem Informatikstudium anfängt?
LS: Man sollte sich nicht einschüchtern lassen. Im ersten Jahr kommt es einem vor, als würden alle anderen alles besser wissen. Wer es wirklich weiss, zeigt sich aber erst bei der Basisprüfung. Und es lohnt sich, sich zu vernetzen, sei es über das CSNOW oder über Lerngruppen.

OS: Es ist trotz der ungleichen Anzahl Männer und Frauen ein toller Beruf, einer der vielversprechendsten derzeit. Man findet sehr gute Jobs, die sich in der Regel auch gut mit der Familie vereinbaren lassen. Frauen sind in der Informatik genauso gut wie Männer. Die Notendurchschnitte im Studium belegen das. Lediglich zu Beginn gibt es einen geringen Gender Gap, der sich damit begründen lässt, dass Frauen im Durchschnitt weniger Programmiererfahrung mitbringen. In den späteren Semestern verschwindet auch dieser Unterschied. Also: Kopf hoch und viel Erfolg!

Vergrösserte Ansicht: Grafik mit Anzahl männlicher und weiblicher Bachelorstudierender am Departement Informatik von 2003 bis 2018
Die Anzahl Studentinnen und Studenten am Departement ist über die Jahre stark gewachsen. Zugleich ist der Frauenanteil angestiegen, von 8,5 Prozent 2003 auf 12,2 Prozent 2018 (weisse Zahlen).  

Über CSNOW

Das Network of Women in Computer Science (CSNOW) unterstützt und vernetzt Studentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Departement Informatik und organisiert Veranstaltungen, welche die Sichtbarkeit von Frauen in der Informatik stärken. Gegründet wurde die Organisation 1993 unter dem Namen «Frauenförderung» auf eine Initiative von Studierenden hin. Damals betrug der Anteil Frauen am Departement Informatik gerade einmal 0,7 Prozent. 2018 waren es 12,2 Prozent.

Zu den Aktivitäten des CSNOW zählt ein Mentoringprogramm für neue Studentinnen, diverse Workshops und Veranstaltungen sowie seit 1999 ein einwöchiges Schnupperstudium, in dem Gymnasiastinnen Informatik und Informatikerinnen näher kennenlernen dürfen. 2001 erhielt das Schnupperstudium vom Bund die Auszeichnung «Ritter der Kommunikation». Heute wird es zweimal im Jahr durchgeführt.

Das Team des CSNOW besteht aus 5–6 Mitgliedern aus allen Stufen von Bachelorstudium bis Postdoc und wird gegenüber dem Departement und der ETH von einer verantwortlichen Professorin oder einem verantwortlichen Professor vertreten. Geleitet wird CSNOW von jeweils zwei Personen auf Doktorats- oder Postdoc-Stufe, dafür werden sie von zusätzlichen Lehrpflichten befreit. Zurzeit wird das CSNOW von Mridula Singh und Alexandra Ion geleitet, verantwortliche Professorin ist seit Januar 2020 Julia Vogt.

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