Ein Sommer voller lehrreicher Erfahrungen
Während des ETH Student Summer Research Fellowships (SSRF) erhielten zwanzig Bachelor- und Masterstudierende von Universitäten weltweit einen Einblick in den Forschungsalltag am Departement Informatik und das Leben in der Schweiz. Vier Gaststudierende berichten kurz vor ihrer Rückreise über ihre gesammelten Eindrücke der letzten zwei Monate.
Die Professorinnen und Professoren des Departements bieten im Rahmen des SSRF die Möglichkeit, in ihren Forschungsgruppen an bestehenden oder neuen Projekten mitzuwirken. Dadurch werden den Gaststudierenden erste Einblicke in die Forschung und das akademische Umfeld ermöglicht. Aus einer grossen Anzahl von Bewerbungen weltweit werden jedes Jahr zwanzig Studierende ausgewählt. Sowohl für die An- und Abreise und das Wohnen als auch für den Lebensunterhalt wird während des Aufenthalts gesorgt. «Die Auswahl unter den vielen exzellenten Bewerberinnen und Bewerbern ist jedes Jahr eine Herausforderung. Wir freuen uns den Fellows dann einen spannenden Forschungsaufenthalt zu bieten», erklärt der Programmverantwortliche Professor Markus Püschel.
Das Knüpfen von Kontakten mit Forschenden des Departements und anderen Fellows ist ein zusätzlicher positiver Aspekt des Programms. «Das SSRF stellt ein verbindendes Erlebnis für alle Teilnehmenden dar – viele ehemalige Gaststudierende stehen heute noch in regelmässigem Austausch miteinander», bestätigt Tony Joller, der Programmadministrator des Fellowships. Das Gemeinschaftsgefühl wird zusätzlich durch verschiedene Ausflüge gestärkt: So besuchten die diesjährigen Teilnehmenden das Supercomputing Center (CSCS) in Lugano, wanderten gemeinsam auf dem Fronalpstock, lernten mehr über künstliche Intelligenz im ETH AI Center und erfuhren, wie Schokolade in der Lindt-Fabrik hergestellt wird.
Lehrreiche Ausflüge durch die Schweiz
Erste Forschungserfahrungen sammeln
Für den Bachelorstudenten Saman Eslami von der Universität Teheran waren es seine ersten Forschungserfahrungen, die er im Rahmen des SSRF sammeln konnte. Er bewarb sich, um gemeinsam mit Forschenden an einem Projekt zu arbeiten und eine neue Kultur sowie ein neues akademisches Umfeld kennenzulernen.
In den vergangenen zwei Monaten war Saman Teil von Professor Peter Müllers Programming Methodology Group. «Bei meiner Bewerbung hatte ich angegeben, dass ich im Bereich der Software-Verifizierung arbeiten wollte, und dieser Wunsch wurde berücksichtigt», erklärt er zufrieden.
«Mein Betreuer und die gesamte Forschungsgruppe waren ausgesprochen hilfsbereit. Ihre Unterstützung hat mir sehr dabei geholfen, dass ich mich bei der Lösung der anspruchsvollen Aufgabe nicht überfordert fühlte.»Saman Eslami
Das Ziel der Forschungsgruppe sei es, mit eigens entwickelten Werkzeugen, wie beispielsweise der Verifikationssprache Viper, Softwareprogramme zu testen und zu verifizieren. Während die Verwendung einer Verifikationssprache manchmal zeit- und arbeitsaufwändig sein kann, stellt die Modellprüfung eine einfachere und schnellere Methode dar, um die Korrektheit eines Systems zu überprüfen. Samans Aufgabe bestand darin, eine hybride Lösung zu finden, sodass Benutzende sowohl eine Verifikationssprache als auch ein Modellprüfungswerkzeug für ihre Softwareprogramme verwenden können. Über die ihm gegebene Aufgabe erzählt er: «Die Arbeit daran war manchmal sehr anspruchsvoll. Mein Betreuer und die gesamte Gruppe waren aber ausgesprochen hilfsbereit und ich konnte mich jederzeit an sie wenden, wenn ich etwas brauchte. Die Unterstützung hat mir sehr dabei geholfen, dass ich mich nicht überfordert fühlte.»
Besonders schätzte Saman am Projekt, dass er sich nicht nur mit seiner Forschungsgruppe, sondern auch mit den anderen SSRF-Teilnehmenden über die gesammelten Erfahrungen austauschen konnte. «Wir wohnen alle zusammen im selben Wohnheim. Jede Person hat ihr eigenes Zimmer, aber man kann sich im Gebäude treffen oder gemeinsam zu Abend essen», meint Saman. Er plant, auch nach Abschluss des Programms mit den anderen Teilnehmenden in Kontakt zu bleiben.
Neue Perspektiven einnehmen
Anders als Saman arbeitet Portia Wang bereits im Rahmen ihres Masterstudiengangs an der Universität Stanford an Forschungsprojekten mit. Da Portia später promovieren möchte, entschied sie sich, wie viele ihrer Mitstudierenden mit demselben Ziel, über den Sommer ein Forschungspraktikum an einer anderen Universität zu absolvieren. Weil sie die Forschung von Professor Christian Holz schon kannte, suchte sie spezifisch nach einer Praktikumsmöglichkeit in seinem Sensing, Interaction and Perception Lab (Siplab). So stiess sie auf das ETH SSRF-Programm.
«Es war wertvoll, durch das SSRF einen Perspektivwechsel auf ein vertrautes Forschungsthema vollziehen zu können.»Portia Wang
Obwohl Portia bereits Forschungserfahrung im Bereich Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) mitbrachte, konnte sie während des zweimonatigen Fellowships viel Neues lernen. «Während das Siplab eine eher systembasierte und technische Ausrichtung hat, fokussiert sich mein Lab in Stanford eher auf die Psychologie und das menschliche Verhalten im Umgang mit AR und VR. Ich dachte also, dass es wertvoll wäre, im Rahmen meines Praktikums einen Perspektivwechsel zu vollziehen», erläutert sie.
Durch ihren Aufenthalt am Siplab konnte die Masterstudentin ihre technischen Skills und Problemlösefähigkeiten verbessern sowie an einem herausfordernden Projekt mitwirken. Sie befasste sich mit AR und arbeitete an der Entwicklung eines Systems, das Kamerabewegungen so antizipieren kann, dass Brillentragende beim Betrachten projizierter Inhalte ein Gefühl der Handlungsfähigkeit verspüren.
«Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich schaffen würde, eine Lösung auszuarbeiten. Doch die gesammelten Erfahrungen und das Wissen, das ich mir während des SSRF angeeignet oder erneut aufgefrischt habe, gaben mir Selbstvertrauen für kommende Projekte. Dadurch hoffe ich, künftig besser mit Unsicherheiten umgehen zu können, denn die gehören in der Forschung dazu», meint sie. Auch der Austausch mit den anderen Programmteilnehmenden war für Portia bereichernd: «In meinem Forschungsbereich treffe ich in der Regel eine Menge Leute, die an ähnlichen Problemen arbeiten. Es ist sehr erfrischend, sich mit Leuten auszutauschen, die an ganz anderen Themen forschen als man selbst. Dabei konnte ich auch neue Impulse für mein eigenes Forschen mitnehmen.»
Freundschaften knüpfen
Tommaso Mencattini, der momentan ein Bachelorstudium in Artificial Intelligence an der Vrije Universiteit Amsterdam absolviert, konnte ebenfalls einige Forschungserfahrungen in Praktika sammeln. Wie Portia hatte auch er den Wunsch, mit einem spezifischen Professor zu arbeiten und von ihm zu lernen. So kam eine Zusammenarbeit mit Professor Mrinmaya Sachan und seinem Natural Language Processing and Educational Technologies Lab im Rahmen des SSRF zustande. Gemeinsam mit einem Doktoranden aus der Forschungsgruppe arbeitete Tommaso diesen Sommer daran, herauszufinden, ob grosse Sprachmodelle tatsächlich ein vertieftes Verständnis von mathematischen Textaufgaben haben oder diese nur basierend auf einfacher Statistik lösen können. Seine Teilaufgabe hatte er zuvor mit Professor Sachan so ausgewählt, dass er sie während der zwei Monate bewältigen konnte.
«Es ist mir gelungen, einige Freundschaften zu knüpfen, die sicherlich auch nach dem Programm weiter bestehen werden.»Tommaso Mencattini
Als besonders bereichernd empfand Tommaso den Austausch mit den anderen SSRF-Teilnehmenden. Neben den organisierten Ausflügen verbrachte er auch im Alltag viel Zeit mit ihnen: «Es ist mir gelungen, einige Freundschaften zu knüpfen, die sicherlich auch nach dem Programm weiter bestehen werden. Das ist grossartig! Auch die Tatsache, dass es am ersten Tag ein organisiertes Treffen gab und bald darauf einen Ausflug nach Lugano stattfand, machte es einfach, einen Freundeskreis zu finden. Ausserdem arbeiteten noch drei weitere SSRF-Teilnehmende im selben Gebäude und in einem ähnlichen Forschungsbereich wie ich. Einer von ihnen hatte sogar seinen Arbeitsplatz direkt neben meinem.»
Einige aus dem Fellowship-Programm planen laut Tommaso, in der nahen Zukunft an die ETH Zürich zurückzukehren, um hier einen Master zu absolvieren oder zu promovieren. Auch Tommaso könnte sich das gut vorstellen. Den Weg in die Forschung wird er auf jeden Fall weiterverfolgen.
Das Fellowship als Entscheidungshilfe nutzen
So sicher über ihre Zukunft wie Tommaso war sich die Masterstudentin Jelena Glišić vor Beginn ihres Aufenthalts nicht. Sie bewarb sich für das ETH SSRF-Programm, um erste Forschungserfahrungen zu sammeln und herauszufinden, ob ein Doktorat für sie interessant sein könnte. Obwohl sie noch keine finale Entscheidung getroffen hat, war der Aufenthalt an der ETH Zürich eine wertvolle Erfahrung. Das Fellowship-Programm gab ihr die Chance, sich zum ersten Mal mit einem Forschungsprojekt, dem Lesen wissenschaftlicher Artikel und dem Herumknobeln an Problemen vertieft auseinanderzusetzen.
Der Fokus in ihrem Masterstudium an der Karls Universität in Prag und während des SSRF liegt auf den theoretischen Computerwissenschaften. Im Rahmen des Programms arbeitete sie in der Algorithms and Didactics Group von Professor Dennis Komm. Die Wahl ihres Themas stand ihr frei: «Dennis Komm und ich haben uns mehrfach getroffen und gemeinsam entschieden, das Online-Knapsack-Problem anzugehen. Daraufhin habe ich mich tiefer in die Thematik eingearbeitet und sowohl mit Doktorierenden als auch mit Dr. Hans-Joachim Böckenhauer und Professor Komm über die Materie diskutiert. So habe ich Inputs aus verschiedensten Blickwinkeln auf das Online-Knapsack-Problem erhalten. Am Ende meines Forschungsaufenthalts konnte ich sogar erste Ergebnisse dazu vorweisen.»
«Ich konnte miterleben, wie Forschung funktioniert – von der Präsentation eines Problems bis hin zum Nachdenken darüber und schliesslich zur Erarbeitung von Lösungen. Das war eine sehr lehrreiche Erfahrung für mich.»Jelena Glišić
Besonders in Erinnerung wird Jelena der einwöchige Forschungsworkshop bleiben, zu dem sie mit der gesamten Gruppe von Dennis Komm in die österreichischen Berge fahren durfte. Den Aufenthalt beschreibt sie so: «Einige der Forschenden stellten dort neue Probleme vor, an denen sie arbeiten. So konnte ich genau beobachten und miterleben, wie Forschung funktioniert – von der Präsentation eines Problems bis hin zum Nachdenken darüber und schliesslich zur Erarbeitung von Lösungen. Das war eine sehr lehrreiche Erfahrung für mich.» Basierend auf den gesammelten Einblicken während des SSRF tendiert Jelena dazu, den Weg in die Forschung zu wählen, vielleicht sogar an der ETH Zürich, meint sie beiläufig – und lächelt dabei.