Die Brückenbauerin
Was macht eine Naturwissenschaftlerin am Departement Informatik? Martina Baumann ist Wissenschaftskoordinatorin und unterstützt ihre Gruppe unter anderem dabei, komplexe Forschungsprojekte mit sensiblen medizinischen Daten auf die Beine zu stellen. Das Vermitteln zwischen internen und externen Stellen liegt ihr.
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Martina Baumann arbeitet am liebsten an Schnittstellen. Als Wissenschaftskoordinatorin in der Gruppe für Biomedizinische Informatik verbindet sie gleich mehrere davon: Forschung und Recht, Wissenschaft und Ethik, Koordination und Kommunikation, Informatik und Medizin. Das geniesst Baumann sehr, obwohl ihre Arbeit manchmal schwer in Worte zu fassen ist. «Meine Kinder sagen, Mami schreibt, um Leuten zu erklären, was andere Leute machen›», schmunzelt sie.
Baumann fühlte sich schon früh zu verschiedenen Welten hingezogen. «Meine Studienwahl war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Germanistik, Philosophie und Biochemie», erinnert sie sich. Biochemie gewann, und sie schrieb sich an der ETH Zürich ein. Die Liebe zur Sprache legte sie jedoch nicht ab. «Ich habe alle möglichen Kurse zu Themen wie Präsentieren, Publizieren, Kommunikation und Management absolviert und nebenbei auch Vorlesungen zur englischen Literatur am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften besucht», erinnert sie sich.
Nach dem Studium doktorierte Baumann an der ETH in Materialwissenschaften – ein weiteres interdisziplinäres Gebiet. Dort prallten ihre zwei Welten, die Naturwissenschaften und die Sprache, zum ersten Mal aufeinander. «Ich hatte eine einsame Dissertation. Die meiste Zeit verbrachte ich im Keller am Rasterkraftmikroskop und am Elektronenmikroskop. Da wurde mir klar, so sehr ich die Forschung auch liebe, ich brauche auch Sprache, Menschen und Kommunikation.»
Unverhofft bekam Baumann direkt nach dem Doktorat eine Stelle bei einer Kommunikationsagentur, die auf den medizinischen Fachbereich spezialisiert war. Im hektischen Agenturalltag lernte sie das Kommunikationshandwerk von der Pike auf. Doch schon bald zog es die Forscherin und Kommunikatorin zurück an die ETH: Sie wechselte als Fundraiser zur ETH Foundation. «Ich kam in Berührung mit der gesamten Bandbreite an ETH-Themen und hatte Einblick in alle Departemente», erinnert sie sich. «Dort merkte ich, dass ich meine Leidenschaften für Sprache und Forschung noch enger verknüpfen könnte, wenn ich wieder am Puls der Forschung arbeiten würde.»
Rechtliches und ethisches Neuland
Die passende Stelle dafür fand sie in der Gruppe für Biomedizinische Informatik am Departement Informatik, geleitet von Professor Gunnar Rätsch. Was genau ist denn das Besondere am Jobprofil einer Wissenschaftskoordinatorin? «Die Vielseitigkeit und Unberechenbarkeit», erwidert Baumann. Die Liste mit ihren Aufgaben ist lang: «Ich unterstütze beim Verfassen von Forschungsanträgen, kümmere mich um die interne und externe Kommunikation in der Gruppe und koordiniere Projekte.»
Gerade die Projektkoordination ist zeitintensiv. «In der biomedizinischen Informatik arbeiten wir mit medizinischen Daten», erklärt sie. «Die meisten Projekte sind eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Partnern aus dem Gesundheitswesen. Das heisst, die Projektpartner bringen einen anderen Forschungshintergrund und auch Mindset mit. Zudem liegt es in der Natur der Forschung an der ETH Zürich, dass unsere Projekte neuartig und/oder sehr komplex sind.» Das wiederum hat zur Folge, dass die Gruppe bei vielen Projekten keine klaren Richtlinien zum Umgang mit den hochsensiblen Daten vorfindet, sondern diese erst erarbeiten muss – gemeinsam mit unterschiedlichsten Stakeholdern, sowohl intern als auch extern.
An der Schnittstelle von so vielen unterschiedlichen Themen und Interessen fühlt sich Martina Baumann wohl. «Ich liebe es, Dinge zu analysieren, zu verstehen und mein Wissen weiterzugeben», erklärt sie. Bei Forschungsprojekten vermittelt sie zwischen den Informatiker:innen auf der einen Seite und Mediziner:innen auf der anderen Seite. Hinzu kommen ETH-Stellen wie Rechtsdienst, Datenschutz, Ethikkommission und Einkauf sowie alle entsprechenden Stellen auf der Seite der Partner der Forschungsgruppe, beispielsweise Spitäler, die alle miteinander verknüpft und mit Informationen bedient werden müssen. Wird ein Projekt über Drittmittel finanziert, dann kommen Anträge, regelmässige Reportings sowie Abschlussberichte obendrein zu den Kommunikationsleistungen hinzu.
Wissen erhalten
Erst wenige Forschungsgruppen an der ETH Zürich beschäftigen Wissenschaftskoordinator:innen. Der Bedarf wird jedoch zunehmen, schätzt Baumann. «Forschungsadministration ist komplex. Insbesondere interdisziplinäre medizinische Forschung braucht Sorgfalt und muss rechtlich, ethisch, aber eben auch menschlich sehr gut durchdacht sein», erklärt sie. «Diese Details mit allen Kollaborateuren und relevanten Stellen auszuhandeln und Forschungsanträge zu schreiben, wird immer aufwändiger. Muss die Professorin oder der Professor das alles im Alleingang erledigen, raubt das sehr viel Zeit, die dann nicht mehr für Forschung, Betreuung und Lehre zur Verfügung steht.»
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«Forschungsadministration ist komplex. Insbesondere interdisziplinäre medizinische Forschung braucht Sorgfalt und muss rechtlich, ethisch, aber eben auch menschlich sehr gut durchdacht sein.»Martina Baumann, Wissenschaftskoordinatorin in der Biomedical Informatics Group![]()
Als technisch-administrative Angestellte hat Baumann auch den Vorteil, dass ihre gesammelte Erfahrung der Forschungsgruppe dauerhaft erhalten bleibt, während Doktorierende und Postdocs die ETH Zürich meist schon nach wenigen Jahren verlassen. Kolleg:innen bezeichnen sie gar als «lebendes Reservoir an ETH-Wissen». «Ich hoffe, immer mehr Professor:innen an der ETH werden sich bewusst, dass Wissenschaftskoordination ein unentbehrliches Rollenprofil werden könnte», merkt Baumann. «Die Arbeit braucht auch viel Kreativität, um neue Lösungen zu finden und neue Wege zu bahnen. Das mag ich sehr.»
Obwohl sie als Life Scientist in der Informatik arbeitet, fühlt sich Baumann an der ETH und am Departement gut integriert und aufgehoben. «Ich kann zwar nicht programmieren, aber den medizinischen Teil der Forschung verstehe ich gut.» Zwar hat die Koordinatorin schon mit dem Gedanken gespielt, tiefer in die Informatik einzutauchen, jetzt, wo sie schon so nah dran ist. Darunter hätte aber wiederum die Wissenschaftskommunikation gelitten – auf die sie in keinem Fall verzichten will. «Klassische Wissenschaftskommunikation fällt häufig etwas euphorisch aus», erklärt sie. «Bei der medizinischen Kommunikation muss man die Erwartungen der Patienten und Patientinnen mitberücksichtigen.» So wurde die Gruppe nach grossen Projekten in der Krebsforschung auch schon von Patient:innen um Hilfe gebeten. «Ich bilde mich stetig weiter, um noch kompetenter mit solchen Anfragen umzugehen», sagt Baumann.
Martina Baumann hat ihren Ort gefunden: an der Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und der Sprache, zwischen der akademischen Welt und der Öffentlichkeit. Mit ihrer Erfahrung aufgrund der ungewöhnlichen Laufbahn, ihrem Flair für Problemlösung und analytisches Denken und vor allem mit ihrer Liebe zur Kommunikation und zu Menschen will sie auch anderen zur Seite stehen: 2022 hat sie sich neben ihrer Anstellung an der ETH Zürich zusätzlich als Coach selbständig gemacht.