«Ich sah das Studium in Zürich als persönliche Herausforderung»
Riccardo Roveri ist einer der Mitbegründer von Animatico, einem ETH-Spin-off, das interaktive Avatare entwickelte und 2022 von Nvidia aufgekauft wurde. Im Interview spricht er über seine Begeisterung für Computergrafik und darüber, wie er den Umzug von Lugano nach Zürich für sein Studium erlebt hat.
Riccardo Roveri, wie kam es zur Gründung von Animatico?
Ich habe meine Hauptmitbegründer, Pascal Bérard und Christian Schüller, während unseres Doktorats im Computer Graphics Laboratory unter der Leitung von Professor Markus Gross kennengelernt. Professor Gross ist auch der Leiter von DisneyResearch|Studios in Zurich, also arbeiteten wir viel mit 3D-Animation. Interaktive 3D-Avatare schienen uns eine logische Weiterentwicklung der Mensch-Computer-Interaktion zu sein: Zuerst hatten wir nur Tastaturen, dann Touchscreens und dann die sprachgesteuerten Geräte wie Siri und Alexa. Der nächste Schritt ist, der Stimme ein Gesicht zu geben. Wir sahen darin sowohl eine gute Geschäftsidee als auch eine sehr interessante Technologie, an der wir arbeiten konnten.
Wäre es nicht besser, mit einem echten Menschen zu sprechen?
Es war nie unser Ziel, Menschen zu ersetzen, sondern vielmehr den bereits vorhandenen Geräten einen Hauch von Menschlichkeit zurückzugeben. An Bahnhöfen, in Restaurants und Geschäften werden zahllose interaktive Bildschirme installiert. Avatare können helfen, diese Interaktionen natürlicher und intuitiver zu gestalten.
Hatten Sie jemals Mühe, anderen Menschen Avatare zu erklären?
Auf jeden Fall. Wir haben gelernt, zu geschäftlichen Meetings immer einen Prototypen mitzubringen, weil wir manchmal Stunden mit Erklärungen verbracht hatten. Die Leute haben Avatare in Messaging-Apps, Spielen und Filmen gesehen, aber kaum jemand hat bisher mit einem gesprochen. Der beste Weg, jemanden von der Bedeutung von Avataren zu überzeugen, ist eine Demonstration.
«Avatare sind der logische nächste Schritt in der Mensch-Computer-Interaktion.»Riccardo Roveri, Mitbegründer von Animatico
Woher kommt Ihr Interesse für 3D-Animation?
Als Kind zog mich alles an, was in 3D auf einem Bildschirm angezeigt wurde, seien es Animationsfilme oder Videospiele. Die richtige Faszination von der Technologie begann, als ich den ersten Toy-Story-Film sah. Ich bin auch ein Basketballfan, deshalb gab es zu Weihnachten immer das neueste NBA-Game. Es war sehr beeindruckend, wie die Qualität der Grafik mit jedem Jahr besser wurde.
War es immer Ihr Karriereziel, einmal ein Start-up zu gründen?
Ich bin seit Langem von Start-ups fasziniert. Es ist erstaunlich, wie ein kleines Team ganze Branchen umkrempeln und neue Technologien auf den Markt bringen kann. Während meines Bachelorstudiums habe ich ein Praktikum in einem Start-up gemacht. Da wusste ich, dass ich eines gründen oder zumindest in einem arbeiten wollte. Aber ich habe bisher all die unterschiedlichen Stationen genossen, von der akademischen Welt über ein Start-up bis hin zur Arbeit in einem grossen Unternehmen.
Mochten Sie auch die Business-Seite des Start-ups oder ging es Ihnen vor allem um die Technologie?
Ich mochte sie, obwohl es ein Lernprozess war. Animatico war für uns alle drei das erste Start-up, und wir mussten unsere Denkweise von Forschung auf Business umstellen. Während des Doktorats arbeitet man sehr fokussiert und vertieft. In einem Start-up muss man schneller handeln und eine Technologie entwickeln, die vielleicht etwas weniger fortschrittlich, dafür aber viel robuster ist. Mir gefiel das ständige Feedback vom Markt dazu, was wir als Nächstes verbessern oder implementieren sollten.
Wie war es, ein ETH-Spin-off zu managen?
Die Verbindung zur ETH half uns sehr. Das Spin-off-Label verschaffte uns Glaubwürdigkeit bei Investorinnen und Investoren sowie Kundinnen und Kunden, und wir konnten mit der ETH zusammenarbeiten, zum Beispiel beim Projekt Digital Einstein. Ich habe es geliebt, auf diese Weise mit der ETH verbunden zu bleiben – auch nach meinem Studium. Auf die eine oder andere Weise ist die ETH seit 14 Jahren ein wichtiger Teil meines Lebens!
Warum haben Sie sich damals für ein Informatikstudium an der ETH entschieden?
Es war schon früh klar, dass ich Informatik studieren würde. Ich war fasziniert von animierten Filmen und Spielen und programmierte auch meine eigenen kleinen Spiele für Familie und Freunde. Die ETH war eine naheliegende Wahl, weil sie eine der führenden Universitäten in diesem Bereich ist und zudem nicht allzu weit entfernt von meinem Zuhause in Lugano liegt. Und sie bot im Master einen Visual Computing Track an, was für mich den Ausschlag gab.
War die Sprachbarriere für Sie als Tessiner schwierig zu überwinden?
Ganz und gar nicht. Die meisten Fächer in der Informatik sind sehr technisch. Zahlen und Formeln sind in jeder Sprache gleich, also muss ich nicht perfekt Deutsch können, um sie zu studieren. Ausserdem sah ich es als eine persönliche Herausforderung an, den Komfort von Lugano zu verlassen.
War das nicht etwas einschüchternd?
Ein wenig. Die ersten Tage an der ETH waren überwältigend. In den riesigen Hörsälen mit fast hundert anderen Leuten zu sitzen, das war eine ganz andere Erfahrung als am Gymnasium. Aber das Tempo war so hoch, dass man keine Zeit hatte, sich zu viele Gedanken zu machen. In ein paar Wochen waren wir schon zu sehr mit Übungen beschäftigt, um über all das nachzudenken.
Wie haben Sie den Rest Ihres Studiums erlebt?
Ich war überrascht, als ich feststellte, dass die ersten Jahre des Bachelorstudiums Informatik sehr viel Mathematik und andere Grundlagenfächer beinhalten und nicht so viel Programmieren. Erst im Masterstudium haben wir an grossen angewandten Projekten gearbeitet. Aber ich merkte schnell, dass all diese Grundlagen sehr notwendig und nützlich waren.
Was war Ihre Lieblingsvorlesung?
Ich mochte alle Lehrveranstaltungen im Master, weil sich viele von ihnen auf Computergrafik und Computer Vision konzentrierten. Besonders gut gefielen mir die praktischen Kurse, in denen wir an einem Projekt arbeiten und ein Ergebnis sehen konnten. Das Game Programming Laboratory war wohl der prägendste davon. Während des Bachelors mochte ich die rein mathematischen Kurse wie Analysis und Algebra.
«Zahlen und Formeln sind in allen Sprachen gleich, also war die Sprachbarriere kein grosses Problem für mich.»Riccardo Roveri, Mitbegründer von Animatico.
Und welche Lehrveranstaltung mochten Sie am wenigsten?
Ich hatte Mühe mit der Low-Level-Programmierung in Assembler. Das ist die Ebene unterhalb der Programmiersprache, auf der man direkt mit dem Computer kommuniziert, fast bis hin zu den Bytes. Das sprach mich überhaupt nicht an, und ich war nicht sehr gut darin.
Haben Sie an der ETH etwas gelernt, was über das Fachwissen hinausgeht?
Ich habe gelernt, in ganz unterschiedlichen Teams zu arbeiten, sowohl mit Freunden als auch mit Fremden. Und ich lernte Zeitmanagement, da wir oft sehr anstrengende Semester hatten. Das Semester, in dem ich das Game Programming Laboratory absolvierte, war besonders fordernd, denn die Arbeit am eigenen Spiel macht so viel Spass, dass man alle anderen Kurse vernachlässigt. Ich musste Prioritäten setzen und sicherstellen, dass ich in mehreren Projekten und Kursen gute Ergebnisse lieferte, anstelle von einem perfekten Ergebnis in nur einem Kurs.
Was würden Sie künftigen ETH-Studierenden raten?
Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn Sie in den ersten Jahren noch nicht so viel programmieren. Und unterschätzen Sie die Bedeutung all der Programmierkonzepte und -muster nicht, die Sie lernen werden. Zu Beginn des Studiums mögen sie übertrieben erscheinen, aber Sie werden sie während Ihrer gesamten Informatikkarriere verwenden – und sie sind von grundlegender Bedeutung für die Arbeit an Grossprojekten, sei es in einem Start-up oder in einer grossen Firma.
Und was empfehlen Sie Studierenden, die aus dem Tessin an die ETH Zürich kommen?
Keine Angst vor der Sprachbarriere! Im Tessin lernen wir in der Schule Hochdeutsch, aber in Zürich sprechen alle Schweizerdeutsch. In den ersten Tagen ist es ein kleiner Schock, aber man gewöhnt sich daran. Ich würde auch empfehlen, sich nicht nur mit anderen Studierenden aus dem Tessin zusammenzutun, sondern die verschiedenen Veranstaltungen und Networking-Möglichkeiten an der ETH zu nutzen, um Leute aus der ganzen Welt kennenzulernen. Diese Freundschaften sind etwas vom Besten, was ich von der ETH mitgenommen habe.
Mehr Informationen
- externe Seite Startupticker.ch: Nvidia erwirbt Animatico (02.05.2022)
- Computer Graphics Laboratory
- externe Seite DisneyResearch|Studio in Zurich
- Digitaler Einstein