«Games sind Empathiemaschinen»
Johanna Pirker, Assistenzprofessorin an der Technischen Universität Graz, war von September bis Oktober Gastprofessorin am Game Technology Center (GTC) der ETH Zürich. Im Interview erklärt sie, was wir aus Spielen lernen können und warum unser Bild von Gamer:innen nicht der Realität entspricht.
Johanna Pirker, worum geht es in Ihrer Forschung?
Ich erforsche, wie wir Videospiele und virtuelle Realität nutzen können, um die Welt besser zu machen. Die Spieleindustrie ist mittlerweile grösser als die Film- und Musikindustrie zusammen. Wo können wir Technologien und Erkenntnisse aus dieser Industrie einsetzen? Was können wir aus Spielen lernen? Das interessiert mich.
Was können wir denn aus Spielen lernen?
Wir können Technologien aus der Spieleindustrie auch im Gesundheits- oder Bildungsbereich anwenden. Beispielsweise ist unser Projekt Maroon ein Virtual-Reality-Physiklabor. Es basiert auf realistischen physikalischen Simulationen. Aber ich kann darin Experimente durchführen, die im realen Leben zu teuer oder zu gefährlich wären – und dadurch lernen. Ferner können wir aus Spielen mehr darüber lernen, wie Menschen miteinander interagieren. Und Spiele sind eines der wenigen Medien, die uns Empathie vermitteln können.
Warum sollen uns ausgerechnet Spiele Empathie beibringen?
Ein gutes Beispiel ist das Spiel «Path Out». Das ist ein Dokumentarspiel von Abdullah Karam, der aus Syrien nach Österreich geflüchtet ist. Man schlüpft in seine Schuhe und erlebt, was es für ihn heisst, seine Welt zurückzulassen. Ganz am Anfang des Spiels habe ich eine falsche Entscheidung gemacht und bin in einem düsteren Wald gelandet. Plötzlich kam aus dem Nirgendwo ein Fremder und erschoss mich. In diesem Moment wurde eine Videoaufnahme von Abdullah eingeblendet und er sagte: «Wäre ich im echten Leben so ungeschickt gewesen, dann wäre ich jetzt tot.» Das ist eine sehr mächtige Erfahrung, weil ich in einem Spiel die Entscheidungen selbst treffen muss. Deswegen nennen wir Spiele auch Empathiemaschinen. Trotzdem gibt es erst noch relativ wenige Forschende auf der Welt, die sich akademisch damit beschäftigen.
Warum sind Games ein eher vernachlässigtes Forschungsthema?
Spiele werden oft in die Schmuddelecke gedrängt und sofort mit Gewalt oder mit Sucht in Verbindung gebracht. Natürlich gibt es Spiele, auf die das zutrifft. Es gibt auch extremistische Spiele und süchtig machende Glücksspiele. Solchen Entwicklungen stehe ich auch sehr kritisch gegenüber. Aber es gibt so viele unterschiedliche Spielerfahrungen. Ein gutes Spiel zu spielen ist für mich genauso wertvoll, wie ein Buch zu lesen. Trotzdem werde ich immer sofort nach meiner Meinung zur Sucht und zur Gewalt gefragt, sobald ich mich als Spieleentwicklerin vorstelle. Das ist, als wäre ich Filmregisseurin und müsste die ganze Zeit über Pornografie reden. Ich will zeigen, dass die Welt der Spiele viel diverser ist.
Was führt Sie an die ETH Zürich?
Ich war schon immer fasziniert von der ETH. Die Forschung und das Universitätsklima hier haben einen traumhaften Ruf. Das Game Technology Center am Departement Informatik ist besonders interessant für mich: Das Team arbeitet auch an Games, aber mit anderen Schwerpunkten als meine eigene Forschungsgruppe. Und die Berge natürlich, das muss ich schon zugeben.
Was macht eine Gastprofessorin eigentlich?
Die Gruppe und ich geben uns gegenseitig Feedback und schauen, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten könnten. Der Fokus des GTC liegt stark auf Augmented Reality, meiner jedoch auf Virtual Reality. Da können wir gegenseitig von unseren Erfahrungen profitieren. Ausserdem durfte ich bereits eine Veranstaltung mit dem bekannten Spieleentwickler Pascal Désillets mitorganisieren, und ich werde versuchen, einen Talk über meine eigene Forschung zu geben. Leider bleibe ich kürzer als geplant an der ETH, weil ich eine Vertretungsprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen habe. Auch mit einem weinenden Auge, denn es gefällt mir hier sogar noch besser als gedacht.
Was gefällt Ihnen am Departement Informatik?
Ich wusste schon, dass die ETH einen guten Ruf hat, aber ich bin trotzdem positiv überrascht. Insbesondere schätze ich die Offenheit. An anderen Universitäten herrscht oft ein starkes Konkurrenzdenken. Hier sind die Leute offen und transparent, aber trotzdem zielstrebig und ehrgeizig und voller Freude und Motivation für ihre Arbeit. Das gefällt mir sehr. Man merkt es auch an den Studierenden: Sie sind sehr offen und motiviert. Das zeigt, dass sie sich wohlfühlen und dass dieses Klima am Departement gefördert wird.
Woher kommt Ihre Begeisterung für Games und für die Informatik?
Ich hatte schon sehr früh Zugang zur Technologie. Eine meiner ersten Erinnerungen ist, wie ich mit zwei oder drei Jahren an die DOS-Maschine meines Vaters gehe und mein Lieblingsspiel starte. Ich konnte weder lesen noch schreiben, aber ich wusste genau, welche Tasten ich drücken muss, damit Prince of Persia startet. Deshalb hatte ich nie Angst vor Computern. In der Informatik habe ich mit der Zeit alle meine anderen Lieblingsfächer wiedergefunden. Ich habe mit Physikern und Chemikerinnen, mit Künstlern, Musikerinnen und Psychologinnen zusammengearbeitet. Ich mag auch den kreativen Aspekt: Ich kann nicht gut zeichnen oder Geschichten erzählen, aber durch das Programmieren kann ich die Welten in meinem Kopf für andere zugänglich machen.
Welches Vorurteil gegenüber Games und Gamer:innen irritiert Sie am meisten?
Ich finde es sehr schade, wenn sich Menschen negativ gegenüber Spielen äussern oder Angst davor haben, weil sie sie nicht kennen. Nach meinen Talks kommen häufig besorgte Eltern zu mir und sagen: «Mein Kind spielt so viel Fortnite oder Minecraft. Was ist denn das? Was muss ich jetzt tun?.» Ich frage sie, ob sie sich denn schon mal mit ihrem Kind hingesetzt und das Spiel gemeinsam gespielt haben. Die Antwort ist immer nein.
«Ich frage besorgte Eltern, ob sie diese Spiele denn schon mit ihren Kindern gemeinsam gespielt hätten. Und die Antwort lautet immer nein.»Prof. Johanna Pirker
Ein weiteres Vorurteil ist das Bild vom Buben, der im Keller sitzt. Das ist nicht nur schädlich, sondern auch falsch. Statistiken zeigen, dass durchschnittliche Gamer:innen über 30 Jahre alt und zu etwa 50 Prozent weiblich sind – und am liebsten gemeinsam mit anderen Menschen spielen. Trotzdem werden Kinder von Geburt an in diese Rollen gedrängt: Die Jungs kriegen blaue Kleider und komplexe Spielsachen und Mädchen bekommen rosa Kleider und simples Spielzeug. Das ist absurd. Ich hatte grosses Glück, dass ich als Kind von diesen Vorurteilen verschont blieb und genauso Prince of Persia spielen durfte wie meine männlichen Klassenkameraden.
Was spielen Sie gerade?
Return to Monkey Island. Das ist die Fortsetzung einer Abenteuerspielreihe aus den 1990ern. Ich streame es auch auf Twitch und lasse die Zuschauer:innen miträtseln. Solche Point-and-Click-Adventures haben einen besonderen Platz in meinem Herzen. In meiner Freizeit arbeite ich gerade selbst an einem Abenteuerspiel. Das erscheint aber wohl erst nächstes Jahr.
Über Prof. Johanna Pirker
Johanna Pirker ist Assistenzprofessorin an der TU Graz, leitet die Forschungsgruppe Game Lab Graz und erforscht Spiele mit einem Fokus auf künstlicher Intelligenz, Mensch-Computer-Interaktion, Datenanalyse und VR-Technologien. Sie hat langjährige Erfahrung in der Konzeption, Entwicklung und Evaluierung von Spielen und VR-Erfahrungen und glaubt an diese als Werkzeuge zur Unterstützung von Lernen, Zusammenarbeit und der Lösung realer Probleme.