«Wir Wissenschaftler:innen müssen für Wahrheit und Objektivität stehen»
Seit Juni 2020 vertritt Prof. Kenny Paterson das Departement Informatik in der Kommission für gute wissenschaftliche Praxis der ETH Zürich. Im Interview spricht er über die Rolle von Wissenschaftlern und wissenschaftliche Integrität in der Informatik.
Welche Rolle spielt die wissenschaftliche Integrität an der ETH Zürich?
Wissenschaftliche Integrität ist absolut grundlegend an der ETH Zürich. Und in der Forschung ist sie das Herzstück unseres Handelns – insbesondere in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten. In der komplexen Welt von heute müssen wir Wissenschaftler:innen für Wahrheit und Objektivität stehen. Das bedeutet beispielsweise, dass wir unsere Forschungsresultate stets mit einer kritischen Distanz betrachten müssen, auch bei grossem Publikationsdruck.
Wie kann die ETH Zürich als Universität mit 16 Departementen und zahlreichen Forschungszentren wissenschaftliche Integrität sicherstellen?
Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Selbst innerhalb eines Departements gibt es ein breites Spektrum an individuellen Kontexten, ganz zu schweigen von der gesamten Hochschule. An der ETH Zürich versuchen wir ein Maximum an wissenschaftlicher Integrität zu erreichen, indem wir übergreifende Integritäts-Richtlinien mit einer Vielzahl spezifischer Regelungen kombinieren. Als übergeordnetes Rahmenwerk geben die Integritätsrichtlinien die allgemeine Stossrichtung vor, während sämtliche Einzelfälle durch rechtlich verbindliche Vorgaben geregelt werden.
Seit Januar 2022 sind die revidierten Integritätsrichtlinien in Kraft. Sind Sie als Vertreter des Departements Informatik zufrieden mit dem Resultat?
Ja, die Anliegen der Departemente und anderer interner Stellen wurden berücksichtigt. Dem Wunsch nach Orientierung, Prävention und sparsamer Regulierung ist die Kommission für gute wissenschaftliche Praxis (GWP-Kommission) nachgegangen.
«Wir entwickeln Algorithmen mit teils massiven Auswirkungen auf das Leben von Individuen.»Professor Kenny Paterson
Gibt es besondere Herausforderungen in Bezug auf die wissenschaftliche Integrität im Bereich der Informatik?
Vielleicht ist in unserem Bereich die Rolle der Ethik und der sozialen Verantwortung in der digitalisierten Welt von heute besonders wichtig. Nehmen wir zum Beispiel die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens. Hier entwickeln wir Algorithmen mit teils massiven Auswirkungen auf das Leben von Individuen. Der Algorithmus bestimmt, ob eine Person Anspruch auf eine Lebensversicherung hat oder ob sie in einer brenzligen Verkehrssituation von einem selbstfahrenden Auto angefahren wird. Die Tatsache, dass wir Menschen die Kontrolle zunehmend an automatisierte Systeme abgeben, wirft komplexe ethische Fragen auf.
Beobachten Sie solche Fragen auch in Ihrem eigenen Forschungsbereich, der Informationssicherheit?
Ja, auch in der Informationssicherheitsforschung stellen sich häufig ethische Fragen. Was ist zum Beispiel, wenn wir eine bedeutende Sicherheitslücke in einem weit verbreiteten System finden, die nicht ohne Weiteres behoben werden kann? Wie sollen wir den potenziellen Schaden, der durch die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse entsteht, gegen das Risiko abwägen, dass jemand anderes das Problem entdeckt und es ausnutzt? Viele dieser entscheidenden Fragen sind in der Gesellschaft noch nicht richtig diskutiert worden.
Was muss geschehen, damit diese ethischen Fragen richtig diskutiert werden?
Wir Wissenschaftler:innen müssen uns engagieren. Ich weiss, dass viele von uns lieber im Labor bleiben würden, statt sich um diese Aspekte zu kümmern – aber das ist nicht mehr möglich. Um diese grossen und wichtigen Fragen offen anzugehen, sollten wir Wissenschaftler:innen uns mit Experten für Ethik an den Tisch setzen.
Der folgende Artikel der Hochschulkommunikation informiert detailliert über den Inhalt und die Revision der Integritätsrichtlinien der ETH Zürich: Eine neue Grundlage für wissenschaftlich integres Handeln (Intern aktuell, 25.01.2022)