Zum Zug gekommen
Mit der Semesterarbeit Geld verdienen? Das geht! Das Computerspiel «Unrailed!», das im Rahmen der Lehrveranstaltung Game Programming Laboratory von Hendrik Baatz, Thomas Lang, Lukas Rahmann und Thomas Wolf entwickelt wurde, hat für weltweites Interesse an Messen und in Fachmedien gesorgt. Seit dem 9. September ist es als erstes Spiel, das am Departement Informatik entstand, kommerziell erhältlich.
Hendrik Baatz, Thomas Lang, Lukas Rahmann und Thomas Wolf meldeten sich «nur so zum Spass» für das Wahlfach Game Programming Laboratory (GPL) im Frühlingssemester 2018 an. Daher waren die Masterstudenten selbst etwas überrascht, als sie nur wenige Monate später ihr Spin-off Indoor Astronaut gründeten und mit ihrem Spiel «Unrailed!» nach Köln an die gamescom, die weltweit grösste Messe der Videospielindustrie, reisten – wenn auch nur für wenige Tage, da die Messe mitten in der Prüfungssession stattfindet. «Es war sehr eindrücklich – und sehr anstrengend!», erinnert sich Thomas Lang.
Im GPL erstellen Masterstudierende in kleinen Gruppen von Grund auf ein dreidimensionales Computerspiel, mit der Auflage, dass es mindestens ein technisch anspruchsvolles Feature haben muss. Die Zeit ist knapp bemessen: Die Teilnehmenden haben nur ein Semester und müssen ihre Aufgaben effizient verteilen und managen. «Ich glaube, diese Lehrveranstaltung ist am Departement Informatik besonders wertvoll, weil sie nicht nur grundlegende Informatikkenntnisse fördert, sondern auch viel Wert auf Soft Skills und Teamwork legt», erklärt Professor Robert Sumner, der das Lab leitet.
Um der Kreativität der Studierenden einen Rahmen zu geben, legt das GPL-Team jedes Jahr ein Thema für das Lab fest. 2018 lautete dieses «Alfred Escher», zu Ehren des 200. Geburtstags des Schweizer Eisenbahnmagnats, welcher auch an der Gründung der ETH massgeblich beteiligt war. Inspiriert von seinem Schaffen, entschieden sich Baatz, Lang, Rahmann, Wolf sowie das fünfte Teammitglied, Valentin Scherer, ein Spiel rund um das Bauen von Eisenbahnen zu gestalten.
Das Ziel von Unrailed! ist einfach: einen Zug möglichst weit fahren zu lassen, ohne dass er entgleist. Dass dafür vier Spieler unter Zeitdruck zusammenarbeiten müssen, sorgt für einen hohen Spassfaktor und, zumindest bei Anfängern, für jede Menge Chaos. Das Spielprinzip beschreiben die Game Designer als «kooperatives Mikromanagement»: Die Spieler nutzen verschiedene Werkzeuge, um Ressourcen einzusammeln, Gleise herzustellen und zu verlegen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und die Dampflok mit Wasser aufzufüllen – und das alles in einer charmant kantigen, liebevoll animierten Spielwelt.
Vom Leistungsnachweis zum Early-access-Spiel
Bereits bei den Testspielen, die das Team gegen Semesterende auf dem grossen Infoscreen im CAB veranstaltete, war klar, dass das Spiel auf der richtigen Schiene war: Trotz anfänglicher Bugs sorgte Unrailed! bei den Testspielern für helle Begeisterung. Nach einem letzten Feinschliff des Spiels holte das Team bei der öffentlichen Schlusspräsentation des GPL sowohl den Jury- als auch den Publikumspreis. Kurz darauf lud sie die Stiftung Pro Helvetia ein, bei ihrem Auftritt an der gamescom dabei zu sein. «Pro Helvetia hat uns sehr geholfen», sagt Lukas Rahmann. «Dank ihnen kamen wir unter die Leute. Zum Beispiel auch an die Fachmesse Game Connection in Paris, wo wir den ersten Kontakt zu unserem Publisher Daedalic Entertainment hatten.»
Dabei gehörte es ursprünglich gar nicht zum Plan der Masterstudierenden, sich ausserhalb des GPL noch weiter mit ihrem Spiel zu beschäftigen. «Wir merkten erst mit der Zeit, dass sich viele Menschen für unser Spiel und für die Zusammenarbeit mit uns interessierten», sagt Thomas Wolf. Und so beschlossen vier der fünf Teammitglieder, das ETH-Spin-off Indoor Astronaut zu gründen und ein bis zwei Urlaubssemester zu nehmen, um sich auf die Unternehmensgründung und die Weiterentwicklung des Spiels zu fokussieren. Als sie schliesslich den Vertrag mit Daedalic Entertainment unterzeichneten, schrieben die «Astronauten» Geschichte: Unrailed! ist das erste Spiel aus mehr als 10 Jahren GPL, das über einen Publisher kommerziell erhältlich sein wird.
«Die Studenten haben nicht nur während des Kurses ausgezeichnete Arbeit geleistet, sie waren auch danach motiviert, am Projekt weiterzuarbeiten, obwohl das Laboratorium schon lange vorbei war und ihre Note feststand», lobt Professor Sumner. Aber auch das kurzweilige Spielprinzip zeichnet Unrailed! aus. «Als Teil des Game Programming Laboratory müssen alle Gruppen einen physischen Prototyp bauen, eine Art Brettspiel. Unrailed! hat bereits in dieser Phase genauso gut funktioniert, wie später in digitaler Form – und sehr viel Spass gemacht», führt Sumner aus.
Lustig zu spielen, schwer zu programmieren
Die Implementierung des Spielprinzips in ein funktionierendes Videospiel, und das in nur drei Monaten, war nicht einfach. «Das Zeitmanagement und die Koordination zwischen mehreren Leuten haben uns gefordert», sagt Lukas Rahmann. Besonders stolz ist das Team auf die gelungene prozedurale Generierung der Spielwelt. Hier lag der technische Knackpunkt von Unrailed!, der die Studenten gehörig herausforderte. Damit Unrailed! nicht verleidet, sollten die Spiel-«Maps» bei jedem Spieldurchlauf neu erstellt werden, aber dennoch immer lösbar bleiben –solange die Spieler keine Fehler machen, geht das Spiel weiter.
Eine zusätzliche Herausforderung war das Replay-Feature, welches das Team kurzfristig für die Schlusspräsentation aufgegleist hat. Damit kann man eine Spiel-Session aufnehmen und in Echtzeit oder beschleunigt anschauen sowie das Spiel an jedem beliebigen Punkt wieder aufnehmen. Für diese Idee haben die ambitionierten Studenten noch einiges an Programmierzeit reingesteckt – was wohl auch dazu beigetragen hat, dass Unrailed! das Spiel mit den meisten Zeilen Code im GPL 2018 war. Seither sind es um einiges mehr geworden. «Technisch gesehen hat das Spiel von heute nur noch wenig mit der Version aus dem Lab zu tun», sagt Lukas Rahmann.
Menschen, die nicht in der Informatik tätig sind, tendieren dazu, Computerspiele zu unterschätzen. Das hat auch das Indoor-Astronaut-Team gelegentlich zu spüren bekommen. «In Wahrheit ist Spieleentwicklung ein Bereich, der sehr viele Aspekte der Informatik beinhaltet», sagt Thomas Wolf. «Es ist einer der spannendsten Berufe in der Informatik, neben der Forschung», ergänzt Lukas Rahmann. Wie lange die vier Mitbegründer von Indoor Astronaut in diesem Metier bleiben, hängt allerdings ganz davon ab, ob ihr Erstling Unrailed! Fahrt aufnehmen kann. Das Spiel ist seit dem 9. September als Early-access-Version für den PC erhältlich, wofür die vier Entwickler einige neue Modi und Features eingebaut haben. Falls die Nachfrage gross ist, liebäugelt Indoor Astronaut noch mit Versionen für Spielkonsolen. Zunächst steht bei den vier Studierenden jedoch die Masterarbeit an, während der sie ihre Zeit wieder zwischen ihrem Spin-off und der ETH aufteilen werden.
Obwohl aus der ursprünglichen, «nur zum Spass» besuchten Lehrveranstaltung viel mehr Arbeit und Aufwand wurde als die vorgesehenen drei Monate, ist der Spass für die vier «Astronauten» nicht auf der Strecke geblieben. «Als Aussteller und nicht als Besucher an den Messen zu sein, das war eine neue Welt für uns», erinnert sich Thomas Lang. «Es war eindrücklich, neben den Grossen der Gaming-Industrie zu stehen.» Bei allem Business kommt an Gaming-Messen aber auch das Spielen nicht zu kurz: «Wir entdecken an unseren Messebesuchen zahlreiche Indie-Spiele, was sehr inspirierend ist», sagt Thomas Wolf. «Und es macht sehr viel Spass, Menschen beim Spielen von Unrailed! zu beobachten!», ergänzt Hendrik Baatz. «Ja, es gibt sehr unterschiedliche Arten, Unrailed! zu spielen», lacht Lukas Rahmann. «Manche Teams sind sehr kooperativ, andere schlagen sich nach zehn Minuten schon fast den Kopf ein!» Beim eingespielten Team von Indoor Astronaut, das sein Spiel noch immer sehr gerne spielt, sind solche Entgleisungen allerdings nicht zu befürchten.
Game Programming Laboratory
Das Game Programming Laboratory wurde 2007 von Prof. Markus Gross und Prof. Robert Sumner ins Leben gerufen. Der jährlich im Frühlingssemester durchgeführte Intensivkurs ist ein Wahlfach im Masterprogramm am Departement Informatik und wird in Kooperation mit der Zürcher Hochschule der Künste durchgeführt. Studierende arbeiten im Gruppen, um im Verlauf eines Semesters ein voll funktionierendes Computerspiel zu entwickeln, welches mindestens ein technisch anspruchsvolles Feature enthalten soll. Die Spiele werden am Ende der Lehrveranstaltung öffentlich präsentiert und von Experten vom englischen Videospiele-Entwickler Studio Gobo evaluiert, welche dem besten Spiel den Jury-Preis verleihen. Besonders gelungene Spiele kommen an Messen und Ausstellungen zum Einsatz, wo sie helfen, ein breites Publikum für die Informatik zu begeistern. So war Unrailed! etwa auch im ETH Pavillon am World Economic Forum in Davos zu sehen. Mehr erfahren