Nachruf: Prof. Friedrich Ludwig Bauer

Ende März 2015 verstarb der Informatik-Pionier Friedrich L. Bauer (1924-2015), Professor an der TU München. Ursprünglich aus der numerischen Mathematik stammend, hat er Grundlegendes auf mehreren Gebieten der Informatik geleistet - u.a. in den Bereichen Programmiersprachen, Compilerbau, Kryptographie und Software-Engineering; seine Lehrbücher waren wegweisend für das Fach. F. L. Bauer war ein Freund der ETH und ein enger Weggefährte von Heinz Rutishauser, dem ersten Informatik-Professor der ETH Zürich.

Computer wurden zunächst als "Rechner" gebaut, man wollte umfangreiche Rechnungen, die bei Ingenieurproblemen anfallen, maschinell schneller und fehlerfreier durchführen. Deshalb finden wir unter den Computerpionieren in der Regel numerische Mathematiker. Auch Bauer hat sich zuerst mit numerischen Algorithmen befasst. Auf dem berühmten Foto der Gatlinburg Conference on Numerical Algebra [1] von 1964 ist Bauer zusammen mit grossen Pionieren der numerischen Mathematik James H. Wilkinson, Wallace Givens, George Forsythe, Alston Householder und Peter Henrici (Photo rechts) zu sehen.

Unser Schweizer Computerpionier und "algorithmic genius" (wie Wilkinson zu sagen pflegte), Heinz Rutishauser, ist nicht auf dem Bild. Seine Gesundheit erlaubte es ihm 1964 nicht mehr, grosse Reisen zu unternehmen. Bauer und Rutishauser verband eine tiefe Freundschaft. Bauer beschreibt in seiner Rede zum Latsis Symposium "50 Jahre Konjugierte Gradienten" in 2002 [4], wie er 1952, damals als Assistent an der Ludwig-Maximilians-Universität München in theoretischer Physik, angeregt durch die Habilitationsschrift von Rutishauser "Automatische Rechenplanfertigung bei programmgesteuerten Rechenmaschinen"[7] zum ersten Mal in Zürich mit ihm zusammentraf. Getragen vom gemeinsamen Interesse am Bau eines Computers (in Zürich die ERMETH, in München die PERM) entwickelten beide Forscher erste Konzepte für Programmiersprachen und Compiler. Bauer erfand zusammen mit Klaus Samelson das Kellerprinzip (heute englisch als stack data structure bezeichnet), das verwendet wird, um eine mathematische Formel einzulesen und automatisch auszuwerten. Er beschrieb nicht nur einen theoretischen Algorithmus, sondern konstruierte "Stanislaus", einen Formelrechner, mit dem das "Kellerprinzip" demonstriert werden konnte. 1959 präsentierte er sein Kellerprinzip und dessen Anwendung für die Übersetzung von Programmiersprachen am IFIP Kongress in Paris. Später erhielt er für diese Erfindung den IEEE Computer Pioneer Award.

Bauer und Rutishauser arbeiteten aktiv im GAMM Fachausschuss "Programmieren" mit, der an der GAMM-Tagung 1955 auf Vorschlag von Rutishauser gebildet wurde. Ziel dieses Fachausschusses war es, Vorschläge für eine algorithmische Schreibweise zur Formelübersetzung auszuarbeiten und damit auch eine Programmiersprache zu definieren. Die erste Sitzung, organisiert von Rutishauser, fand 1957 in Lugano statt. Einer der vier Autoren des danach publizierten Berichtes ist F. L. Bauer [8]. Nachdem ACM auch für das Projekt gewonnen werden konnte, entstand schliesslich nach ein paar weiteren Konferenzen die Programmiersprache ALGOL 60 [9], die man als das "Latein der Programmiersprachen" bezeichnen kann, weil viele Eigenschaften von ALGOL in die heutigen Programmiersprachen vererbt worden sind.

1967 wurde an der Technischen Universität München ein Studiengang Informatik innerhalb der Mathematik eingeführt. Es war wieder der Pionier F. L. Bauer, der im Wintersemester 1967/68 den ersten zweisemestrigen Vorlesungszyklus "Einführung in die Informationsverarbeitung" startete. 1972 entstand danach der eigenständige Studiengang der Informatik an der TU München.

1968 wurde Bauer als ordentliches Mitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Im Oktober 2004 erhielt Bauer vom damaligen Akademie-Präsidenten, Heinrich Nöth, die Verdienstmedaille mit den Worten:
"Mit der Entwicklung des Leibniz-Rechenzentrums ist der Name Bauer untrennbar verbunden; nicht nur, weil er von 1965 bis 1995 als Ständiger Sekretär der Kommission für Informatik, sondern auch im Direktorium des LRZ maßgeblich an dessen Aufbau beteiligt war. Herrn Bauers Herz hängt am Leibniz-Rechenzentrum, dem er seine Arbeitskraft auch nach seiner Emeritierung gerne zu Verfügung stellte. Und so war die Bayerische Akademie der Wissenschaften auch dankbar dafür, dass er sich mit seinem Elan und Durchsetzungsvermögen für die Planung des Neubaus des LRZ auf dem Campus der TU in Garching einsetzte."[5]

Mit der Gründung des Leibniz-Rechenzentrum 1968 besteht ein weiterer Bezug zur ETH. In der Festschrift wird auf Seite 104 vermerkt:
"Die Leitung des Leibniz-Rechenzentrums der Kommission für elektronisches Rechnen oblag demnach einem Direktorium, dessen Vorsitzender einen eigens bezeichneten Lehrstuhl an einer Münchner Universität innehatte. Ein solcher Lehrstuhl mit Zweckbindung wurde vom Kultusministerium geschaffen und auf Antrag von Fritz Bopp bei der Ludwig-Maximilians-Universität ausgebracht. Beabsichtigt war, einem hochrangigen numerischen Mathematiker, der sich auf dem neu entstehenden Gebiet der Informatik auskannte, den Vorsitz im Direktorium anzutragen und ihn zu berufen. Die Berufungskommission setzte an die erste Stelle den langjährigen wissenschaftlichen Weggefährten von Bauer und Samelson, Heinz Rutishauser von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Die Berufungsverhandlungen liefen an, Rutishauser musste jedoch aus gesundheitlichen Gründen, die damals noch nicht öffentlich bekannt waren, absagen (er verstarb im November 1970)."[5]

1968 organisierte Bauer eine vom NATO Science Commitee finanzierte Tagung in Garmisch. Die Konferenz stand unter dem Eindruck der "Software-Krise". Damit wurden die Probleme bezeichnet, die zum ersten Mal auftraten, als anfangs 60er-Jahre die ersten grossen komplexen Systeme gebaut wurden. Der Begriff "Software Engineering" wurde von Bauer an dieser Konferenz geprägt. Bauer schlug vor, für die Entwicklung solcher Systeme Ingenieurmethoden anzuwenden, um die Zuverlässigkeit zu erhöhen und Kosten zu sparen. Die Konferenz gilt als Geburtsstunde des heute wichtigen Gebiets des "Software Engineering". In der Folge konzentrierte Bauer seine Forschungsinteressen auf Programmiersprachen und -methoden, Softwaretechnik und mathematische Logik.

Nach seiner Emeritierung 1989 widmete Bauer seine Schaffenskraft dem Deutschen Museum. Hartmut Petzold schreibt dazu:
"Natürlich ist Professor Bauer Informatiker und Mathematiker. Trotzdem oder gerade deshalb hat er nicht nur für das Deutsche Museum, sondern im Deutschen Museum über eine ganze Reihe von Jahren gearbeitet. Dies ist nicht mehr nur Hobby, für das sich innerhalb des Arbeitslebens ein untergeordneter Platz fand, sondern beträchtlicher Bestandteil davon. Er hat sich über mehrere Semester von Universitätsverpflichtungen befreien lassen, wobei er sowohl im Ministerium als auch bei seinen Fakultätskollegen Unterstützung fand. Ohne es genau belegen zu können schätze ich, daß Professor Bauer rund 5 bis 6 Jahre täglich und während weiterer mindestens sechs Jahre während einiger Tage in der Woche voll für das Deutsche Museum tätig war. Sollte ich mich stark verschätzt haben, bitte ich um Entschuldigung. Dazu kommen seine Kuratoriumsmitgliedschaft und seine fachmännischen Beratungen auf Anfrage, deren Spuren bis in die fünfziger Jahre zurückreichen. Dabei geht die Affinität zum Deutschen Museum schon in die Vorkriegsjahre zurück, wo er eine Schülerfreikarte intensiv nutzte."[6]

Im 3. Obergeschoss des Deutschen Museums hat Bauer eine einmalige Ausstellung zur Informatik aufgebaut. Unter anderem ist dort auch die legendäre Z4 vorhanden, die als einzig funktionierender Computer auf dem Europäischen Festland an der ETH Zürich anfangs der 50er-Jahre installiert war. Die externe SeiteAusstellung umfasst auf 1400 m2 rund 700 Exponate.

Die Beschäftigung mit der Geschichte der Informatik hat Bauer auch veranlasst für die Kolumne "Historische Notizen" im Informatik Spektrum viele interessante und unterhaltende Beiträge zu schreiben. Sie wurden auch in einem Buch herausgegeben [3]. Springer schreibt dazu:
"Der Autor entwickelt unterhaltsam, gleichzeitig mit mathematischer Strenge, zahlreiche Facetten aus der Wissenschaftsgeschichte, die mit den Anfängen der Informatik in Zusammenhang stehen. Die Beiträge sind über viele Jahre im Informatik Spektrum erschienen und werden nun erstmals in einem Buch zusammengefasst. Die Informatik selbst ist eine junge Wissenschaft, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit zurückreichen. Der Autor zeigt dies anhand vieler anregender historischer Notizen."

Ein weiteres Forschungs- und Lehrgebiet, von dem Bauer schon immer fasziniert war, ist die Kryptologie. Nach seiner Emeritierung beschäftigte er sich intensiver damit und schrieb ein Buch mit dem Titel Entzifferte Geheimnisse: Methoden und Maximen der Kryptologie [2]:
"Die Kryptologie gewinnt zusehends praktische Bedeutung in Verbindung mit dem Schutz von Kommunikationssystemen, Datenbanken und Software. Daneben treten mehr und mehr rechnerinterne Anwendungen wie Zugriffsberechtigungen und der Quellenschutz von Software. Das Buch behandelt die Geheimschriften und ihren Gebrauch, die Kryptographie, sowie das Vorgehen zum unbefugten Entziffern einer Geheimschrift, die Kryptanalyse, mit Hinweisen zur Beurteilung der Verfahrenssicherheit."

Prof. Bauer konnte auf ein langes und erfolgreiches Leben zurückblicken. Er hat die nach dem Krieg neu entstandene Wissenschaft "Informatik" entscheidend beeinflusst und nachhaltig mitgeprägt. Bauer war einer der letzten "Allwissenden" in der Informatik: Er hatte die ganze Entwicklung von den ersten Relais- und Röhrenmaschinen bis hin zum Laptop nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet.

Prof. Friedrich Ludwig Bauer
Prof. Friedrich Ludwig Bauer
James H. Wilkinson, Wallace Givens, George Forsythe, Alston Householder, Peter Henrici und Friedrich L. Bauer
James H. Wilkinson, Wallace Givens, George Forsythe, Alston Householder, Peter Henrici und Friedrich L. Bauer

Literatur:
[1] Das Bild kann in Matlab erzeugt werden mit den Befehlen
load gatlin, image(X), colormap(map),caption
© Cleve Moler, MathWorks.
[2] F. L. Bauer, Entzifferte Geheimnisse - Methoden und Maximen der Kryptologie, Springer, Berlin, 1995.
[3] F. L. Bauer, Historische Notizen zur Informatik, Springer Verlag, 2009.
[4] Friedrich L. Bauer, TU München, Latsis Symposium ETH, 2002. externe SeitePDF
[5] Festschrift 40 Jahre Informatik in München 1967-2007, Friedrich L. Bauer (Hrsg). Fakultät für Informatik der TUM, 2007 Informatik-Club e.V. / Friedrich L. Bauer
[6] Hartmut Petzold, F. L. Bauer als Historiker, Münchner Zentrum für Wissenschafts- und Technikgeschichte, Arbeitspapier, 1999.
[7] Heinz Rutishauser, Automatische Rechenplanfertigung bei programmgesteuerten Rechenanlagen. Mitt. Inst. Angew. Math. ETH Zürich, Nr. 3. Birkhäuser, Basel 1952.
[8] F. L. Bauer, H. Bottenbruch, H. Rutishauser, K. Samelson. Proposal for a universal language for the description of computing processes. In: J. W. Carr (ed.), Computer Programming and Artificial Intelligence, University of Michigan Summer School 1958, pages 355-373.
[9] J. W. Backus, F. L. Bauer, J. Green, C. Katz, J. McCarthy, P. Naur, A .J. Perlis, H. Rutishauser, K. Samelson, B. Vauquois, J. H. Wegstein, A. van Wijngaarden, M. Woodger; edited by Peter Naur. Revised Report on the Algorithmic Language ALGOL 60.
NOTE: This Report is published in the Communications of the ACM, in Numerische Mathematik, and in the Computer Journal. Reproduction of this Report for any purpose is explicitly permitted; reference should be made to this issue of the Communications and to the respective issues of Numerische Mathematik and the Computer Journal as the source.
Communications of the ACM, Volume 6, Number 1 (January 1963), pages 1-17.
Numerische Mathematik, Volume 4, Number 1 (December 1962), pages 420-453.
The Computer Journal, Volume 5, Number 4 (1963), pages 349-367.

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