Von der «anderen» Seite eines aktiven und facettenreichen Lebens

In einem Gespräch erzählen die emeritierten Professoren Peter Rieder und Carl August Zehnder, wie sie sich gesellschaftlich engagieren und weiterhin mit der ETH verbunden bleiben.

Wenn die Professorinnen und Professoren an der ETH das AHV-​Alter erreichen, gelten für sie nicht genau die gleichen Regeln wie für die meisten Bundesangestellten. Zwar erhalten auch sie nachher keinen Lohn mehr, sondern eine Rente der Bundespensionskasse, und sie können auch nicht mehr Mitarbeiter auf ETH-​Stellen beschäftigen. Aber viele von ihnen sind weiterhin an Projekten innerhalb und ausserhalb der ETH beteiligt und werden als Berater beigezogen. Und sie dürfen auch in ihrem 'Unruhe-​Stand' ihre ETH-​E-Mail-Adresse lebenslang behalten.

Minh Tran: Lieber Herr Rieder, lieber Herr Zehnder, was machen viele ehemalige Professoren eigentlich nach ihrer aktiven Zeit? Und Sie persönlich?
Peter Rieder:
Aus meinem Umfeld sind fast alle emeritierten Kollegen nach der Pensionierung noch sehr aktiv. Viele sind in mehreren Kommissionen, sie halten noch Vorlesungen und Vorträge. Einige haben ihre eigenen Firmen, durch die sie Dienstleitungen privater Natur anbieten oder auch bei Start-ups mitarbeiten.
Persönlich: Ich selber hatte noch fünf Jahre nach der Pensionierung eine Vorlesung im Grundstudium von drei Departementen. Dann habe ich für ein Semester eine öffentliche Vorlesungsreihe an der HSG übernommen. Ebenso habe ich noch Projekte bis zum deren Abschluss betreut. Zweimal habe ich Evaluationen von Universitätsprogrammen an zwei Universitäten in Kosovo durchgeführt, einmal gemeinsam mit zwei emeritierten ETH-Kollegen. Des Weiteren habe ich viele Vorträge an Fach-Tagungen, aber besonders auch bei privaten Vereinigungen gehalten. Dann war ich in mehreren Kommissionen und Stiftungsräten bis zum 75. Lebensjahr tätig. Diese Tätigkeiten waren – mit Ausnahme einer – ohne Bezahlungen, also für gemeinnützige Institutionen.
Carl August Zehnder: In den ersten Jahren wird viel gereist, oft mit längeren Aufenthalten an anderen Hochschulen und/oder in Projekten, auch in Entwicklungsländern. Die gewählten Schwergewichte sind sehr individuell, aber meist fokussiert, von spezieller Forschung über Lehraufträge bis zu Projektleitungen und anderem. Nur eine Minderheit wendet sich nach der Emeritierung ‚etwas ganz Anderem‘ zu, Beispiele: Kunst, Alpleben. Ich selber habe viel Zeit in Verbandsführung, in Stiftungsräten, für Projektbegleitungen und als Webmaster eingesetzt – neben der schönen Betätigung als Grossvater.

MT: Was ist das Ziel der ETH Emeriten-Treffen?
CAZ:
Ich sehe zwei Hauptziele: Individuell, also für die einzelnen Emeriten, ergibt sich so eine angenehme Form, an den Winterthurer Treffen auch nach der Emeritierung viele Kontakte mit Kollegen aufrecht erhalten zu können. Für die ETH, d.h. etwa für Mitglieder von Schulleitung und Rektorat, besteht hier eine direkte Möglichkeit, aktuelle Problemkreise mit einer Gruppe unbelasteter, aber interessierter ETH-Kenner zu diskutieren.
PR: Kontakte zwischen den Emeritierten aufrechterhalten. Denn in diesem Kreis treffen sich alle Disziplinen der ETHZ. Viele Kollegen kannte man von früher flüchtig über gemeinsame Kommissionen. Hier trifft man sich losgelöst von institutionellen Sorgen. Man lernt auch viele neu kennen und bekommt so Einblicke in andere Fachgebiete. Die Auswahl der Referate zu den neun Veranstaltungen erfolgt durch einen sechsköpfigen Ausschuss. Man achtet bei der Suche nach Vielfalt, meistens mit ETH-Forschungsbezug bzw. Referate zu neueren wissenschaftlichen Entwicklungen, meistens von aktiven oder kürzlich emeritierten ETH-Kollegen.

MT: Was können die Emeriten der ETH oder der Gesellschaft zurückgeben?
PR:
Ja, in Form von Vorträgen und Mitgliedschaften in eidgenössischen Fach-Kommissionen und gemeinnützigen Organisationen.
CAZ: Emeriten haben fast alle ein grosses Beziehungsnetz. Dieses wird übrigens von sehr vielen Seiten – ehemaligen Mitarbeitern, Doktoranden/Assistenten, Industriekontakten, Schulen, Vereinigungen usw. regelmässig ‚angezapft‘, wenn Rat, Referenten, Gutachten, Empfehlungen usw. benötigt werden. Mit den Jahren wird diese Nachfrage schwächer, reisst aber nicht ab, solange man gesund ist.

MT: Wollen die Emeriten sich auch bildungspolitisch – beispielsweise in Zusammenhang mit Horizon 2020, Erasmus+ – engagieren?
PR:
Nicht als Gruppe. Möglicherweise machen das Einzelne über Kommissionsarbeiten. Die Emeriti sind kein Verein mit spezifischen Vereinszielen. Es gibt keine Statuten. Es wird also nicht nach Mehrheitsmeinungen gesucht. Daher gibt es keine Stellungnahmen.
CAZ: Die Emeriten sind selber keine aktive Organisation (wir organisieren nur unsere eigenen Veranstaltungen) und wollen das sicher auch nicht ändern. Aber jeder Einzelne ist völlig frei, sich so zu engagieren, und manche tun es auch.

MT: Sollen die Emeriti Stellung nehmen zu politischen Vorlagen oder Initiativen (z.B. Gentechnikverbot, Energiestrategie 2050)?
CAZ:
Nein. Wir hätten dazu auch kein Mandat und wollen keines. Jeder/Jede Einzelne kann das in seinem eigenen Namen tun.
PR: Ich denke: nein. Hingegen suchen wir gelegentlich gezielt Referenten, um uns direkt Hintergründe zu politischen Fragestellungen, z.B. Energie, informieren zu lassen. Auch über gentechnische Fragen im humanen Bereich oder über Industrie 4.0 hatten wir letztes Jahr hochinteressante Vorträge. Gelegentlich laden wir auch Personen ein, die wir aus Sicht der Vorbereitungskommission einfach gerne kennenlernen möchten, wir z.B. Prof. Gunnar Rätsch, der uns am 26 Juli die biomedizinische Informatik näherbringen wird.

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